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Zwischenwelten (German Edition)

Zwischenwelten (German Edition)

Titel: Zwischenwelten (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mariëtte Aerts
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sie laut, bevor sie die Tür hinter sich zuschlägt. Ein älterer Herr, der ein paar Türen weiter wohnt, kommt ebenfalls gerade ins Treppenhaus und wirft ihr einen griesgrämigen Blick zu. Herr Plomp liebt Krach überhaupt nicht und findet, dass Ayses Familie mit ihren lärmenden Kindern eine lästige Bande ist. Ayse verspürt große Lust, ihm die Zunge rauszustrecken, doch dann beherrscht sie sich und sagt freundlich: »Guten Tag, Herr Plomp.«
    Herr Plomp schaut sie überrascht an und murmelt etwas Unverständliches.
    Ayse springt schnell die Treppe hinunter, denn sie hat keine Lust, mit Herrn Plomp im Aufzug stehen zu müssen.
    Der Nieselregen ist nicht kalt, aber auch nicht gerade angenehm, und als sie auf die Straße tritt, zieht sie die Jacke bis obenhin zu. Vielleicht wäre es schlau gewesen, einen Regenschirm mitzunehmen. Aber was soll’s, auf dem Platz der Wanderbühne stehen Wagen und Zelte, wo man sich unterstellen kann, und wer weiß schon, was für ein Wetter in Salzland ist. Sie haben in Salzland nie Winter erlebt, fällt Ayse plötzlich ein. Sie muss grinsen. Wahrscheinlich mag Buba den Winter nicht. Vielleicht verhindert seine Herkunft aus einem tropischen Land, dass er Schnee- und Eiswelten erschafft.
    Sie biegt um die Ecke und hält Ausschau nach den Zeltdächern, die sie von hier aus über den Sträuchern sehen kann. Ihr stockt der Atem. Sie macht noch einen Schritt. Wird langsamer. Und noch einen Schritt. Heftig schüttelt sie den Kopf. Sie muss kurzsichtig geworden sein. Sie geht wieder schneller, rennt vorbei an parkenden Autos, an Mülleimern und Blumenkübeln ohne Blumen, aber voller leerer Getränkedosen. Gar nicht hingucken, es gibt da noch etwas anderes, etwas Besseres.
    Ein breiter Sandweg führt zwischen den Sträuchern auf den leeren Platz, wo die Wanderbühne stand.
    Stand.
    Hier steht sie nicht mehr. Es steht gar nichts mehr da. Die Zelte, die Wohnwagen, alles ist weg! Mit geballten Fäusten bleibt Ayse stehen. »Nein!« Verstört schaut sie sich um. »Das kann nicht sein! Sie haben nichts … Sie sollten doch … Tio hat mir nicht mal Auf Wiedersehen gesagt!« Sie hört selbst, wie weinerlich ihre Stimme klingt, und räuspert sich. Ein paar Meter von ihr entfernt blickt sich ein Mann, der seinen Hund ausführt, nach ihr um.
    Zögernd, mit ungläubigem Gesicht zockelt Ayse über den Platz. Da ist noch etwas, das sie beunruhigt: Es gibt keine Spuren im Gras, nichts, was darauf hindeutet, dass hier vor Kurzem noch Betrieb geherrscht hat. Keine Spuren von Rädern, keine Löcher von Zeltpflöcken im Boden, kein platt getretenes Gras. Ayse spürt eiskalte Panik in sich aufsteigen. »Ich bin doch nicht verrückt!« Die Grasfläche müsste doch deutlich gelitten haben unter den Füßen unzähliger Kirmesbesucher und Artisten.
    Ayse dreht sich nach dem Spaziergänger um. »Entschuldigung!«, ruft sie und hört, dass ihre Stimme seltsam schrill klingt. Der Mann bleibt stehen und blickt über die Schulter zu ihr zurück. Ayse rennt zu ihm. Der Hund fängt an zu knurren, und sie bleibt in einigem Abstand stehen. »Entschuldigung«, fängt sie noch einmal an. »Darf ich Sie was fragen?«
    »Natürlich.«
    »Haben Sie hier gestern und in den Tagen davor … eine Wanderbühne gesehen?«
    »Eine was?«
    »Eine Wanderbühne … äh … so eine Art Kirmes.«
    Der Mann sieht sie an, als hätte er den Verdacht, er solle auf den Arm genommen werden.
    »Na, lauter Menschen, Zauberkünstler, Feuerspucker und was weiß ich. Pommes? Einen Zuckerwattestand? Solche Sachen.«
    Der Hundebesitzer schüttelt den Kopf. Er bückt sich und tätschelt dem Hund – eine Art Wurst auf Beinen – kurz den Kopf. Das Tier setzt sich und schaut treu zu seinem Herrchen auf. »Nein, so was haben wir nicht gesehen. Stimmt’s, Moppi? Nein, die waren hier nicht. Wir kommen jeden Tag her, Moppi und ich, und wenn es hier so was gegeben hätte, dann hätten wir das auch gesehen. Nicht wahr, mein Lieber? Braver Hund.«
    Ayse beißt sich auf die Lippe und kann nur mit Mühe das Bedürfnis zügeln, dem Mann – oder dem Hund – einen Tritt zu versetzen. »Wirklich nicht? Sie haben keine Wohnwagen gesehen und kein Zelt?«
    »Nein. Warum denn? Hat das in der Zeitung gestanden, oder wie kommst du darauf, dass hier eine Kirmes herkommen soll?«
    Ich hab sie doch selbst gesehen, hätte Ayse gerne gesagt, doch sie schweigt.
    »Vielleicht kommt sie noch, am Wochenende oder so«, überlegt der Mann und macht ein besorgtes Gesicht.

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