Zwischenwelten (German Edition)
Ayse unbeholfen an, um dann stotternd und stammelnd fortzufahren: »Ich meine … zum Schlafen, kann ich hier ein Zimmer kriegen?« Sie kramt in ihren Taschen. »Ich hab Geld.« Sie zeigt es der Frau. Ob es wohl genug für eine Übernachtung ist? Die Frau sieht sie nachdenklich an, vielleicht fragt sie sich, was ein Mädchen abends alleine in einem Gasthaus will. »Mein Vater hat mich gerade hier abgesetzt.« Ayse zeigt auf die Tür. Wie von selbst kommen ihr weitere Lügen über die Lippen. »Er hat gesagt, ich soll nach einem Zimmer fragen. Er selbst will erst noch das Feuer anschauen.«
Jetzt nickt die Frau, das findet sie eine glaubwürdige Geschichte. Sie bringt Ayse zu einem Zimmer im ersten Stock.
Es ist genau dasselbe wie das, in dem sie schon zweimal geschlafen hat, nur ist das Bett dieses Mal ordentlich gemacht, mit frisch gewaschener Bettwäsche bezogen, und es steht ein Fenster offen, um die kühle Nachtluft hereinzulassen.
Sobald die Frau aus dem Zimmer ist, geht Ayse zu dem offenen Fenster und beugt sich hinaus. Der Gasthof ist wie ein Hufeisen gebaut und hat auf der Rückseite einen mit Steinen gepflasterten Hof, in dem, wie Ayse sieht, Blumenkübel mit fröhlich rot und rosa blühenden Pflanzen stehen. Und da stehen auch ein paar Holztische und Stühle. Auf einem der Tische sitzt die rote Katze nahe bei einer kleinen Laterne, die ein zartgelbes Licht ausstrahlt. Zufrieden leckt sich das Tier eine Pfote, und als ein Mann nach draußen kommt, steht sie steifbeinig auf.
»Bestimmt ist das der Wirt«, sagt Ayse sich, als der Mann im Vorbeigehen die Katze hinter den Ohren krault. Ob der Mann und die Frau von vorhin zusammen das Gasthaus betreiben? Ayse vermutet es.
Der Mann überquert den Hof und verschwindet irgendwo in einer offen stehenden Tür. Ayse hört gerade noch, wie er zu jemandem sagt: »Das ist doch schrecklich, wozu soll denn die ganze Zerstörung gut sein!«
Drinnen, für Ayse gerade noch verständlich, widerspricht ein anderer Mann: »Ja, du hast gut reden, du lebst nicht von Fischen.«
Geht es um das Feuer?
Ayse dreht sich um und tritt ans Bett, zieht die Sandalen aus und lässt sich auf die weiche Decke fallen. Offenbar ist hier doch nicht jeder rachsüchtig, und es gibt auch Salzländer, die auf eine andere, friedlichere Art nach einer Lösung suchen. Das ist ein beruhigender Gedanke, und mit einem Seufzer schließt Ayse die Augen. Einen Moment später schläft sie tief.
»Ich hab mir schon gedacht, dass du wieder hierhin zurückkommst«, hörte Tio, und sein letzter Rest Tapferkeit schmolz dahin wie Schnee in der Sonne. War er dafür über den verdammten Fluss geschwommen und beinahe abgesoffen, nur um hier wieder am Kragen gepackt zu werden? Er hätte es wissen müssen. Er hätte darauf achten müssen, ein Stück weiter aus dem Fluss zu steigen, irgendwo im Schilf, wie es auch ursprünglich sein Plan gewesen war.
Zwei Hände packten ihn an den Handgelenken. Er wollte sich losreißen, aber seine Arme waren vom Schwimmen so müde, dass es bei einem halbherzigen Versuch blieb. Wütend und zugleich entmutigt blickte er auf.
Das Mädchen auf dem Steg nickte ihm zu. Es war Hala, die Schwester von Kivan. »Komm, ich helfe dir.«
Das Mädchen war um einiges stärker, als Tio erwartet hatte, und er ließ sich auf den Steg ziehen.
»Wir müssen leise sein. Du hast Glück, es ist ein großes Feuer ausgebrochen, und alle sind hin, um zu löschen. Hier, ich hab deine Sachen mitgebracht und ein paar trockene Klamotten, die du anziehen kannst. Hoffentlich passen sie. Sie sind von Kivan.«
»Warum …?« Tio nahm den Rucksack, sein Hemd und seine Sandalen, blieb aber einen Augenblick lang stehen und sah das Mädchen erstaunt an. »Warum machst du das?«
Hala zuckte mit den Schultern. Sie wartete, bis Tio sich angezogen hatte, und half ihm bei der silbrigen seidenglatten Runjihose ihres Bruders. »Nein, das kommt nach hinten.« Sie kicherte.
Tio versuchte, mit den Massen an dünnem Stoff zurechtzukommen. »Was für ein kompliziertes Teil! Und was mache ich mit dem Ding hier?«
»Das knöpfst du dir um die Hüfte, so.« Kopfschüttelnd begutachtete sie das Ergebnis. »Du siehst schrecklich aus, halb Runji, halb Salzländer. Wenn du zu Hause bist, musst du dir wieder trockene Sachen von dir anziehen.« Sie streckte die Hand aus. »Wir gehen hier lang.«
Tio folgte ihr über Stege, Terrassen, an Häusern vorbei.
»Da bin ich aus dem Wasser gefischt worden«, bemerkte er.
»Ja, von
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