Zwischenwelten (German Edition)
Etwas Warmes wäre gut.
Da bekommt er einen Krampf in der linken Wade. Wütend versucht er, ihn wegzustrampeln, doch das hilft nichts, der Schmerz wird nur schlimmer. Wahrscheinlich liegt das an der Kälte dieses langen Abends. Seine Muskeln sind ausgekühlt und wollen sich nicht mehr bewegen. Tio versucht, nur mit einem Bein zu schwimmen und das andere einfach hängen zu lassen, aber so wird er schrecklich langsam, und seine Bewegungen geraten völlig durcheinander. Er sinkt mit dem Kopf unter Wasser. Mit den Armen rudernd, kommt er wieder hoch und versucht, oben zu bleiben. Das Flusswasser hat einen seltsamen Geschmack, metallisch und sandig. Tio spuckt. Er hat Wasser in der Nase, Tropfen hängen ihm an den Wimpern. Er zwinkert, wischt sich mit der Hand übers Gesicht, aber dabei gerät er wieder mit dem Kopf unter Wasser. Er hustet und keucht. Panisch strampelnd und rudernd, paddelt er weiter.
Ich ertrinke, denkt er voller Angst. Ich werde es nicht schaffen, ich ertrinke. Was für eine blöde Art zu sterben, mit dreizehn Jahren ertrunken in einem Fluss, den es nicht einmal gibt. Wenn es nicht so traurig wäre, müsste er lachen. Vielleicht sollte ich mich einfach sinken lassen, möglicherweise wache ich dann in der normalen Welt auf. In einem Spiel kann man doch nicht wirklich sterben? Oder doch?
Müde macht er mit seinen bleischweren Armen noch ein paar halbherzige Züge. Er kann nicht mehr. Niedergeschlagen lässt er die Beine sacken, seine Arme wollen sich nicht mehr bewegen, und er erwartet, wieder unterzutauchen.
Und dann fühlt er Boden unter seinen Füßen. Er erschrickt fast darüber, so unerwartet kommt es. Schlamm. Er quatscht zischen den Zehen durch, und Tio gluckst, lacht und verschluckt sich noch einmal.
Prustend schwimmt er weiter, läuft, watet auf das Ufer zu. Abgebrochene Schilfstoppeln stechen ihm in die bloßen Füße. Links von sich sieht er den Angelsteg, von dem er am Nachmittag gesprungen ist. Er wollte eigentlich etwas weiter oberhalb ans Ufer kommen, aber offenbar hat er den Fluss nicht in gerader Linie überquert. Der Steg scheint die bei Weitem bequemste Möglichkeit zu sein, aus dem Wasser zu steigen. Er greift nach den Holzlatten. In dem Moment, als er sich daran hochziehen will, hört er eine leise Stimme.
»Ich hab mir gedacht, dass du wieder hierhin zurückkommst.«
Sirje hatte nicht gelogen, die Quiche war umwerfend gut, und Ayse hat Thorpa mindestens dreimal versichert, selten etwas so Gutes gegessen zu haben. Die überschwänglichen Komplimente schienen den Mann etwas auftauen zu lassen, doch er hielt Ayse gegenüber weiter Abstand. Mit gerunzelter Stirn musterte er sie ab und zu, und Ayse fühlte sich wie ein seltsames Insekt, das unter eine Lupe gelegt worden war, um genau betrachtet werden zu können. Die Unterhaltung verlief dementsprechend zäh. Doch dann wurde Thorje nach dem Essen losgeschickt, die Wassertröge im Stall nachzufüllen. Völlig außer Atem kam er zurückgerannt und schrie: »Feuer! Es brennt!«
Ayse war, obwohl furchtbar erschrocken, beinahe froh über die Ablenkung. Mit offenem Mund starrte sie den Jungen an. Was meinte Thorje? Brannte es hier auf dem Hof? Hatten die Runji wieder einen Anschlag verübt? Und wenn ja, warum war Thorje dann so begeistert?
»Müssen wir was tun?«, fragte sie dümmlich. »Müssen wir nicht löschen?«
Worauf sie ausgelacht wurde.
»Nee, lass es mal ordentlich lodern«, rief Thorje.
Jetzt, wo sie draußen hinter den Ställen am Rand des Hofs stehen, begreift sie langsam. Von hier hat sie einen guten Blick auf die Umgebung, und in der Ferne ist über dunklen Baumkronen roter Feuerschein zu sehen.
Nicht alle sind mit nach draußen gekommen. Sirpa und Thorpa sitzen noch in der Küche – nur die Kinder lehnen am Holzzaun, zeigen auf das Feuer und rufen durcheinander. Für Ayse ist es ein bisschen wie an einem festlichen Abend mit Feuerwerk, nur mit dem Unterschied, dass sie selbst sich nicht freuen kann: Es ist ein Runjihaus, das da in Flammen aufgeht, und Ayse muss ständig an Tio denken. »Aber das ist … So was passiert doch nicht zufällig … Ich meine, ist es angezündet worden?«
Thorje lacht laut. »Ja, natürlich ist es angezündet worden!«
Vorsichtig wagt Ayse zu fragen: »Von Salzländern?«
Thorje trommelt einen wilden Wirbel auf den Zaun und sagt strahlend: »Ja, sicher! Was hast du denn gedacht! Wir haben zwar noch keine Schwingen, aber deshalb bleiben wir noch lange nicht auf unserem Hintern
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