Zwischenwelten (German Edition)
meiner Mutter. Ich weiß nicht, ob Kivan dir von uns erzählt hat? Maile, meine Mutter, ist die Bedeutendste. Sie ist diejenige, die im Kampf vorausgeht. Sie ist es auch, die die Schwingen entwirft, dauernd neue, bessere. Jetzt ist sie natürlich beim Löschen. Also ist niemand zu Haus.«
Tio sah an dem Gebäude hoch, vor dem sie stehen geblieben waren. Es war zweigeschossig, im Gegensatz zu den meist flachen und breiten anderen Runjibauten. War es Absicht, dass dieses Haus über alle anderen hinausragte, weil es das der Bedeutendsten war? Er hörte, wie Hala neben ihm scharf Luft holte. Erschrocken schaute er sie an. Sah sie Leute kommen? Dann folgte er ihrem Blick, der zum Horizont auf der anderen Seite des Flusses schweifte.
Rote Glut stand am Himmel, und ein greller Funkenregen stieg auf. Tio schauderte. »Ist das das Feuer?«
Hala nickte. »Unser Seehafen … Es ist den Salzländern wieder mal gelungen, ihn in Brand zu stecken.«
»Warum machen sie das?«
»Was glaubst du wohl? Es ist Krieg! Wir zerstören ihre Häuser, und sie zünden unsere an.«
»Ist es dir nicht unheimlich, dass deine … dass eure Mutter jetzt da …« Tio zeigte unbestimmt auf die Glut in der Ferne.
»Ach, meine Mutter passt schon auf. Aber natürlich passiert auch mal was Schlimmes.« Mit einer müden Bewegung rieb sich Hala die Augen. »Jetzt aber genug gequatscht. Wir müssen vorsichtig sein, Kivan hängt hier wahrscheinlich irgendwo rum. Deshalb verabschiede ich mich jetzt von dir. Wenn alles anders gelaufen wäre, dann hätte ich dich zu mir nach Hause eingeladen, damit du dich trocknen und ausruhen kannst, und ich hätte dir auch was Warmes zu essen und zu trinken gegeben.« Sie breitete entschuldigend die Arme aus. »In diese Richtung geht es nach Sandelenbach.«
»Woher weißt du, dass ich dahin will?«
Hala lachte. »Das mit den Briganten fand ich ja eine ganz witzige Geschichte … Ich weiß nicht, wer du bist und was du hier suchst, aber das tut nichts zur Sache. Und jetzt geh, schnell.«
Eigentlich hatte Tio ihr noch viele Fragen stellen wollen, aber er verstand, dass er besser zusah, schleunigst von hier wegzukommen. »Danke!«
»Schon gut.« Sie gab ihm einen leichten Stoß in den Rücken. »Venji rhoen.«
»Hä?«
»Das bedeutet in unserer Sprache viel Glück.« Und mit diesen Worten drehte sie sich um und ging.
Tio wartete noch einen Moment, ob sie noch einmal über die Schulter zurückblicken und winken würde, aber sie eilte auf die Tür zu und ging sofort ins Haus.
Der Weg zu der kleinen Hafenstadt war lang, kalt und dunkel. Es schien so, als würden die ersten Häuser, die er von Weitem sah, einfach nicht näher kommen. Dann hatte er endlich die erleuchteten Fenster erreicht und starrte sie sehnsuchtsvoll an. Ob Ayse wohl in der alten Herberge war? Er würde gut daran tun, mit diesen falschen Kleidungsstücken am Leib schnell in die unbewohnte Welt hinüberzugehen, sonst könnten ihn die Leute für einen Runji halten. Mit abgewandtem Gesicht, die Augen fest auf das Straßenpflaster gerichtet, trabte er an Häusern und Kneipen vorbei, bis er zur Treppe kam. Doch er hätte sich keine Gedanken zu machen brauchen, denn niemand schien ein Auge für ihn zu haben.
In der Stadt herrschte eine seltsame Festtagsstimmung. Die Menschen waren noch auf der Straße, und es wurde gesungen, gelacht und gerufen. Wegen des Feuers? Für sie ist das ein Erfolg, dachte Tio missbilligend, und schaudernd nahm er den Geruch von verbranntem Holz wahr, der über das Wasser getrieben kam.
Noch nie zuvor war er so erleichtert gewesen, wieder die stillen Straßen der anderen Welt betreten zu können.
Und jetzt sitzt er, immer noch keuchend, auf einer Bank am Hafen. Es ist die erste Bank, auf die er gestoßen ist. Er will zu Ayse, er will andere Klamotten anziehen, er will essen und schlafen, doch erst muss er wieder zu Atem kommen. Er macht seinen Rucksack auf. Ob da noch was Essbares drin ist? Zu seiner Verwunderung stößt er auf ein dick belegtes Brot. Das hat das Mädchen für ihn gemacht! Es ist in äußerst dünnes, fast durchsichtiges Papier verpackt, das Tio nun abwickelt. Er riecht zögernd an dem Brot, das gelblich weiß ist und süß riecht, aber mit etwas belegt ist, das an geräucherten Fisch erinnert. Süß und salzig. Eine eigenartige Kombination. Aber sobald er den ersten Bissen gegessen hat, schlingt er den ganzen Rest hinunter, ohne sich auch nur einigermaßen beherrschen zu können. »Und jetzt einen großen
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