Zwischenwelten (German Edition)
verführerisch, dass sie nicht anders konnte, als auch etwas davon zu essen.
»Noch ungefähr acht Tage«, erwidert Tio. »Ich glaube, wir ziehen am Fünfzehnten weiter. Ich kann ja mal meinen Vater fragen. Er schaut über die Schulter. »Flip?«, ruft er, aber sein Vater ist – nachdem er sich hastig ein paar Pommes in den Mund gestopft hat – schon wieder mit der Lichtershow für die Abendvorstellung beschäftigt.
»Ich muss jetzt los«, sagt Ayse, »aber ich komme morgen wieder. Der Baba… wie heißt er noch mal?«
»Babatunde?«
Tio knüllt die Papiertüte zu einem Ball zusammen und wirft ihn aus einem Meter Abstand in einen Papierkorb. »Ha! Getroffen. Er ist neu.«
»Wer ist neu?« Ayse schaut zu dem Papierkorb.
»Nein, der Typ. Buba. Ich hab ihn nicht gekannt.«
»Passiert das öfter, dass einfach so neue Leute mitkommen?«
»Oft.« Tio grinst. »Wenn du überall gescheitert und gefeuert worden bist, dann kannst du immer noch bei der ältesten Wanderbühne mitmachen.«
»Trotzdem finde ich, dass euer Programm richtig schön werden kann. Es hat klasse Teile. Das mit der schwarzen Kiste, aus der du verschwindest, die dann plötzlich leer ist, wenn dein Vater sie aufmacht.«
»Ach, das.« Tio nickt. »Den Trick bringen wir natürlich nur, wenn ich dabei bin. Wenn keine Ferien sind und ich in der Schule bin, lässt mein Vater diesen Teil aus. Ja, das ist wirklich die einzige richtig gute Nummer der ganzen Vorstellung. Die haben wir übrigens auch nicht selbst erfunden. Die schwarze Kiste hat mein Vater von einem anderen Zauberer übernommen, und der hat ihm die Nummer beigebracht. Es ist der einzige Trick, der immer klappt.«
»Wie funktioniert das eigentlich mit dieser Kiste?« Ayse sieht Tio neugierig an. »Oder ist das geheim?«
»Eigentlich schon. Aber ich zeig’s dir.« Tio steht auf. »Komm mal mit.« Er geht Ayse voraus in das dunkle Zelt. Sein Vater ist mit den Strahlern beschäftigt, aber Tio nimmt Ayse mit hinter den schwarzen Vorhang mit den silbernen Sternen. Dahinter befindet sich ein kleiner Raum, den das Publikum nicht zu sehen bekommt. Hier stehen die Gegenstände aufgereiht, die für die verschiedenen Tricks gebraucht werden. »Das ist sie.« Tio zeigt auf die Kiste. »Guck, so klettert man rein.« Er macht es ihr vor. »Du passt noch mit dazu. Komm.«
Zögernd klettert Ayse zu ihm in die schwarze Holzkiste.
»Siehst du den Riegel? Da kann man aufmachen. Es ist eine Art doppelter Boden. Und hier kann man raus.« Tio schiebt das schwarze Brett zur Seite und schlängelt sich nach draußen. »Das muss man ein bisschen üben, weil es nicht so ganz einfach ist. Am Anfang bin ich manchmal stecken geblieben. Nein, die Schultern zuerst, ja, genau, und jetzt mit dem Bein hierhin …« Tio hilft Ayse, sich aus der Kiste zu winden. »Ist doch gar nicht so schwer, oder?«
»O Mann«, schnauft Ayse. »Dafür musst du aber ganz schön gelenkig sein. Und was …?« Sie sieht sich verwundet um. »Und was ist das hier?«
»Was meinst du?« Tio schaut auf.
»Wo sind wir denn jetzt? Ist das die Rückseite vom Zelt? Ich versteh das nicht, wie wir … wo wir …«
»Das ist …« Tio schaut an ihr vorbei. Eben hat er noch gedacht, dass sie im Zelt wären. Hier ist es genauso dunkel wie dort. Aber jetzt sieht er, dass es auf eine andere Art dunkel ist, so dunkel wie nachts. »Mist«, sagt er. Er schaut Ayse verdutzt an. »Hm, wart mal … das versteh ich jetzt selbst nicht, wo wir plötzlich …« Er verstummt.
Ayse geht ein paar Schritte zur Seite und späht um die Kiste. »He«, ruft sie verblüfft. »Boh, Mensch, das ist wirklich ein toller Trick! Jetzt sag schon, wo wir hier gelandet sind.« Sie schüttelt heftig den Kopf. »Aber das geht doch gar nicht.«
»Nein«, gibt Tio zu. »Ich versteh das auch nicht.« Er blinzelt, kneift die Augen kurz zu und schaut wieder hin. »Das ist doch nicht zu fassen!«
Eigentlich müssten sie im Zelt stehen. In demselben kleinen Raum, in dem sie gerade in die Kiste gestiegen sind. Tio wollte Ayse doch nur zeigen, wie sie durch den doppelten Boden verschwinden konnte. Aber es ist etwas anderes passiert. Etwas Merkwürdiges. Etwas, das gar nicht möglich ist. Es ist, als stünden sie in einem dunklen Wald.
»Ich will nach Hause.« Ayses Stimme ist ganz hoch und zittrig vor Nervosität. »Ich krieg bestimmt was zu hören, wenn ich so spät komme! Können wir jetzt bitte wieder zurück?«
»Na, das hoffe ich doch sehr …«
Ayse wirft Tio einen
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