Zwischenwelten (German Edition)
Muster ist nicht einfach.«
Es bleibt kurz still. Ayse und Tio sehen sich irgendwie unbehaglich an, als wüssten sie beide nicht recht, ob sie gestern Abend geträumt haben oder nicht. Es ist eigentlich zu seltsam gewesen, um wahr zu sein.
»Komm, setz dich«, sagt Buba mit einem breiten Lächeln. »Willst du was trinken? Wir haben Tee.«
»Prima.« Tio nickt und lässt sich auf die Decke fallen. Er kriegt einen Becher Tee und beobachtet Bubas flinke Finger, die Ayse vormachen, wie sie knüpfen soll. Er genießt die Sonne, und zwischendurch reden sie ein bisschen. Die Kiste erwähnen sie beide nicht.
»Willst du es auch lernen?«, fragt Buba Tio nach einer Weile.
Tio zögert. Er findet die geknüpften Bändchen schön, doch er hat Angst, sich ungeschickt anzustellen.
Buba zeigt auf einen kleinen Koffer mit Knäueln aus Baumwollfäden in allen möglichen Farben. »Such dir was aus. Zwei Farben für den Anfang, nicht mehr.«
Tio beugt sich über den Koffer. »Auf jeden Fall was mit Schwarz«, überlegt er laut. »Zusammen mit dem Blau hier?« Er zeigt Ayse die Farbe.
»Das ist Lila«, sagt Ayse.
»Okay, ich nehme Schwarz mit Lila.« Tio will den Koffer wieder zumachen, da fällt sein Blick auf ein Stückchen Pappe. Darauf sind Buchstaben zu sehen, doch er kann die Wörter nicht vollständig entziffern, weil ein roter Faden um die Pappe gewickelt ist. Tio schiebt den Faden mit dem Zeigefinger zur Seite, um die Worte darunter lesen zu können.
Ihr
Wir
Vorbei
Er legt das Stückchen Pappe wieder zurück und schaut eine Weile zögernd in den Koffer. Es sind dieselben Worte, die er gestern bei seinem Vater auf dem Spiegel gelesen hat. Tio versucht sich zu erinnern, was da vorher gestanden hat. Schon ein paar Mal hat er dort seltsame krakelige Zeilen entdeckt. Aber sie fallen ihm nicht ein. Er hatte immer gedacht, dass sein Vater, der ja öfter ein bisschen zerstreut ist, die Sätze an den Spiegel gekritzelt hätte. Aber dass er sie jetzt hier sieht? Heißt das etwa, dass Buba unbemerkt zu ihnen in den Wagen gekommen ist und die Wörter auf den Spiegel geschmiert hat? Das wäre schon sehr merkwürdig.
»Suchst du die Schere?«, fragt Buba. »Die hab ich hier.«
»Hä? Was? Oh … ja«, stotterte Tio. In Gedanken versunken, schneidet er die Fäden in der richtigen Länge ab und lässt sich zeigen, wie er anfangen soll. Er hat größte Mühe, seine Gedanken zusammenzuhalten, und aus den Augenwinkeln blickt er immer wieder zu dem großen schwarzen Mann in der grellfarbenen exotischen Kleidung. Auch heute trägt Buba die verspiegelte blaue Brille, die seine Augen verbirgt, sodass Tio nicht sehen kann, ob er ihn anblickt. Ob Buba irgendwas mit der Sache mit der Kiste zu tun hat? Tio schaut unwillkürlich auf seinen Becher mit Tee, den er schon halb leer getrunken hat. Hat Buba ihnen vielleicht ein komisches Mittel untergeschoben? Aber gestern haben sie von ihm nichts zu essen und zu trinken bekommen. Er hat Ayse nur das geknüpfte Bändchen geschenkt. Und warum sollte Buba so etwas tun? Was hätte er davon, dass zwei Kinder zusammen einen seltsamen Traum erleben? Unmerklich schüttelt Tio den Kopf. Er fühlt sich auch kein bisschen komisch. Nicht betrunken, nicht schwindlig, nicht irgendwie leicht im Kopf. Alles ganz normal.
Nach einer Stunde reicht es Ayse. »Meine Finger sind ganz verkrampft«, sagt sie stöhnend und öffnet und schließt ihre Hände. »Ich muss mal eine Pause machen.«
»Guter Zeitpunkt für eine Frühstückspause«, meint Buba grinsend. »Ich gehe einkaufen.«
Er lässt sich von Ayse den Weg zu einem Einkaufszentrum beschreiben.
Unsicher schlägt Tio Ayse vor, mit ihm im Wohnwagen seines Vaters ein Brot zu essen.
Das Mädchen zögert kurz und ist dann einverstanden.
Ein Glück, sie traut sich. Tio lächelt sie an.
»Flip!«, ruft er ausgelassen, als sie in den Wagen steigen. Aber von seinem Vater ist nichts zu sehen.
»Bestimmt ist er auch einkaufen«, murmelt Tio. Er schmiert ein paar Brotscheiben mit Erdnussbutter.
Sie nehmen den kleinen Stapel Brote mit nach draußen und setzen sich auf zwei Plastikgartenstühlen in die Sonne. Tio geht noch mal rein, weil er vergessen hat, Ayse etwas zu trinken anzubieten. Mit einer Packung Milch und zwei Gläsern kommt er zurück.
Noch immer trauen sich beide nicht, über das zu reden, was gestern passiert ist.
Als die Brote gegessen sind und die Packung Milch halb leer ist, sagt Ayse: »Die Kiste …«, und Tio: »Buba …«
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