Zwischenwelten (German Edition)
sie beide so genüsslich im lauwarmen Wasser geplanscht haben, ohne sich etwas Böses dabei zu denken. Heute sehen sie gerade noch die Letzten aus dem Zug hinein verschwinden, zwischen zwei bewaffneten Torwachen durch, die zu beiden Seiten der großen Eingangstür aufgestellt sind.
Ayse geht um das Gebäude herum. »Können wir irgendwo durch ein Fenster spähen?«
»Du bist wohl nicht ganz bei Trost!«
»Dahinter ist nur so was wie ein … Garten, so was wie der Hof, in dem wir gerade waren. Niemand ist da.«
»Im Augenblick gerade nicht.« Tios Gesicht ist hart. »Aber wenn du da vor irgendeinem Fenster hängst, dann kannst du Gift drauf nehmen, dass jemand auftaucht.«
Ayse kümmert sich nicht weiter um Tios Einwände, schlüpft in den Garten und klettert auf ein Sims, um durch ein rundes Fenster blicken zu können.
»Mist«, mault sie. »Ich glaube, die sind schon alle vorbei, und es ist kein Fatz mehr von ihnen zu sehen. Ich schaue direkt in den runden Gang, du weißt doch, durch den wir gegangen sind. Das Bad liegt hinter der zweiten Wand. Von dem, was sie da treiben, kriegen wir hier nichts mit.«
»Das ist auch der Sinn der Sache«, erklingt eine helle Stimme hinter ihnen.
Erschrocken dreht sich Tio um, und Ayse rutscht prompt von dem Sims, das schmal ist und kaum Halt bietet. Sobald sie wieder festen Boden unter den Füßen hat, blickt sie ängstlich in die Richtung der Stimme. Wer es auch ein mag, auf jeden Fall ist es jemand, der ihnen gerade laut und deutlich zu verstehen gegeben hat, dass sie und Tio die Tempelanlage unbefugt betreten haben.
Es ist ein Mädchen, das ihnen da gegenübersteht und sie erstaunt anblickt.
»Oh …« Tio ist überrascht.
Ayse starrt in die grünen Augen unter weißblonden Augenbrauen. »Aha.« Mit einem schnellen Seitenblick zu Tio hat sie begriffen. Mehr sagt sie nicht, und auch Tio schweigt. Sie wissen, dass niemand in dieser Welt sie nach einer früheren Begegnung wiedererkennt, und dieses Mädchen, Hala, wird keine Ausnahme sein.
»Wir wollten nicht …«, stammelt Tio. »Wir haben wirklich nichts …«
»Ihr tut etwas, das verboten ist«, sagt Hala einfach. »Oder zumindest unangebracht. Und wenn ich es richtig verstanden habe, was ich mir eigentlich nicht vorstellen kann, dann habt ihr noch etwas viel Unangebrachteres getan!« Sie spricht gemessen, wie man es von einer Königstochter erwartet.
Ayse beißt sich auf die Lippe und schweigt.
Das Mädchen geht ein paar Schritte von ihnen weg, dann winkt es ihnen. »Kommt mal mit.«
Ayse macht große Augen. »Ich bin doch nicht verrückt!« Das Mädchen wird sie ganz sicher zu einer der Wachen bringen, wo sie dann eine schrecklich hohe Strafe zahlen müssen – oder es käme noch schlimmer. Sie schaut sich aufgelöst um und sucht nach einem Ausweg. In der Richtung, aus der sie gekommen sind, scheint es sicher zu sein. Sie packt Tio am Ärmel. »Komm schon!« Sie will ihn mit sich ziehen, doch Tios Füße sind wie in Beton gegossen, er weigert sich, sich auch nur einen Millimeter vom Fleck zu bewegen. Ayse stampft auf und stößt einen ungläubigen, wütenden Schrei aus. »Tio!« Das kann doch nicht wahr sein, dass dieser Einfaltspinsel von diesem Mädchen derart hypnotisiert ist, dass er ihr wie ein lammfrommes Schäfchen hinterherlaufen will? Ayse erinnert sich, wie Tio von Hala erzählt und wie er sie beschrieben hat, wie er immer wieder von ihr anfing, als ob er sich in den wenigen Minuten, die er mit ihr gesprochen hat, total in sie verknallt hätte! Na ja, das Mädchen hat ihm natürlich geholfen. Aber das war damals, diesmal ist es wahrscheinlich ganz anders! Und auf das Betreten des Wassertempels steht laut Tio die höchste erdenkliche Strafe.
»Ihr könnt ruhig versuchen wegzulaufen«, unterbricht Hala Ayses Gedanken, »aber wenn ich anfange zu schreien, kommt ihr nicht weit. Wenn ihr in die Richtung rennt«, sie hebt die Hand, »aus der ihr gerade gekommen seid, landet ihr gleich wieder auf den Terrassen des Zentrums. Zwischen Hunderten von Runji, für die ich die gesetzmäßige Nachfolgerin der Maile bin und damit eine der wichtigsten Personen in ganz Terrasse. Vielleicht habt ihr schon von mir gehört, ich bin Hala, die Tochter der Maile. Welche Chancen, denkt ihr, habt ihr gegen all die Runji, wenn sie mich schreien hören, dass sie euch ergreifen sollen?«
Ayse verschränkt die Arme und blickt das Mädchen wütend an. Dass die nicht allein mit der Situation fertig wird, sondern die Hilfe von
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