Zwischenwelten (German Edition)
unter der Fuchtel ihrer Mutter, dass sie noch nie in Erwägung gezogen hat, sich einmal nicht an eine Vorschrift zu halten? »Ich finde es ziemlich unhöflich, uns im Garten auf eine Holzbank zu verfrachten. In meiner Familie ist das ganz anders, da werden Gäste an den Tisch gebeten und mit etwas Gutem zu essen, süßem Kaffee und Fruchtsäften bewirtet.« Sie schnaubt triumphierend.
»Äh …«, fängt Hala noch einmal an. »Ich … äh … weiß eigentlich nicht … Ja, vielleicht ist das …« Sie wirft einen schnellen Blick über die Schulter in Richtung Maile Dhun. »Ich geh schnell mal fragen.« Sie sieht Ayse fast entschuldigend an. »Ich bringe euch trotzdem erst mal in den Garten.«
Das Mädchen geht ihnen voran, wieder durch ein Tor und dann durch noch eines. In einem überdachten Teil des Gartens bleibt sie stehen und zeigt auf die Bänke. »Ich komme gleich zurück. Wartet hier auf mich.«
»So, das ist also das Mädchen, das du so toll gefunden hast«, knurrt Ayse, sobald sie sich auf eine der Bänke gesetzt haben. »Arrogantes Stück.«
»Vielleicht kann sie nichts dafür«, sagt Tio entschuldigend, »sie wird vermutlich ständig in Watte gebettet. Oder vielleicht verbeugen sie sich alle vor ihr genauso tief wie vor ihrer Mutter. Dann wirst du von ganz alleine so.«
Eine Weile herrscht peinliche Stille.
Gelangweilt streicht Ayse über eine ausgesägte Form in der Rücklehne der Bank, auf der sie sitzt. »Ich finde den Garten blöd«, sagt sie schließlich. »Das kann man doch nicht Garten nennen, da ist ja nur Sand.«
Tio zeigt auf einen einfachen, aber enorm großen Kübel. »Da steht eine Pflanze.«
»Das ist keine richtige Pflanze. Ich glaube, das ist eine Palme.«
»Nein.« Tio schüttelt den Kopf. »Ich glaube eher, dass es ein Bambus ist.«
»Oder einfach ein Riesenschilfrohr.« Ayse schneidet eine Grimasse. »Ist doch lächerlich, oder?«
Tio gibt keine Antwort, auf seiner Stirn sieht man eine große Falte. Dann sagt er: »Die Runji sind doch ein richtiges Wasservolk, ja? In jeder Hinsicht! Ich glaube, dass das Ding da eine Wasserpflanze ist.«
»Ja, kann sein.« Ayse steht auf, um die Pflanze von Nahem zu betrachten. »Eigentlich ist es ein hässliches Ding. Und du hast recht, sie steht im Wasser. Sieh dir das mal an. Das ist kein Topf, sondern eher ein Teich, und in den mündet ein kleiner Bach. Das Wasser komm irgendwo anders her. Und da sind sicher noch mehr davon.« Ayse steht auf und folgt dem Wasserlauf. »Hier wimmelt es von diesen Dingern, eins … zwei … alles dieselben, total langweilig. Oh, hier hört es auf.« Sie bleibt stehen, wo die Quelle des Wasserlaufs zu entspringen scheint. »Hier sprudelt es einfach aus dem Boden hoch.« Sie bückt sich und trinkt einen Schluck von dem eiskalten Wasser. »Wunderbar!« Sie schlüpft aus ihren Sandalen. »Schnell mal ein bisschen abkühlen.« Ohne mit der Wimper zu zucken steigt sie in das sprudelnde Wasser.
»He, tu das nicht!« Tio stupst sie in den Rücken. »Wetten, dass das nicht erlaubt ist?«
»Warum denn?«
»Weiß ich nicht, aber ich hab so eine Ahnung …« Tio bückt sich, hebt Ayses Sandalen vom Boden auf und hält sie ihr hin. »Hier, zieh sie wieder an.«
Dickköpfig wie immer bleibt Ayse stehen, wo sie ist.
»Du hast uns vorhin schon in Schwierigkeiten gebracht«, erinnert Tio sie. »Und jetzt …« Er erstarrt. Dicht an seinem Ohr hört er eine Stimme. Bevor er sich zu dem umdreht, der eben gesprochen hat, stöhnt er: »… bringst du uns sicher wieder in Schwierigkeiten.« Denn er kennt die Stimme.
»Wer, ich?«, fragt Kivan. Verwundert schaut er den Jungen an, der vor ihm steht und ihn so respektlos ansieht. Dann wandert sein Blick zu dem Mädchen mitten im Wasser. Auch sie guckt ihn ziemlich gelassen an. Und das begreift er nun überhaupt nicht, denn: »Sie steht in der Quelle!«
Tio schaudert. Er denkt an den endlos langen Gang, durch den sie gerade geführt worden sind, und an die vielen Wachen, die da postiert sind! Einen Fluchtversuch können sie vergessen.
Nachdem Ayse und er von den Wachen mit den Speeren, die Kivan herbeigerufen hat, festgenommen worden sind, hat man sie in einen leeren Raum gebracht, wo sie ewig warten mussten, bis endlich jemand kam und ihnen mitteilte, dass die Maile nun eingetroffen wäre und sie ihr vorgeführt werden könnten.
»Vorgeführt?« Dieser Begriff versprach nichts Gutes. »Wie vor einen Richter?«
Jetzt stehen Ayse und er in einem kleinen Saal, und
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