Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Zwölf im Netz

Zwölf im Netz

Titel: Zwölf im Netz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Adalbert Seipolt
Vom Netzwerk:
nach!«
    Judas aber rannte durch die dunklen Gassen ans Ende der Stadt, wo sich in einem roh zusammengezimmerten Verschlag an der Mauer Ruth, die Tochter Phanuels, aus Scham verkrochen hatte. Und er vergab ihr in derselben Stunde.

Der Zweifler und der Aussätzige

    Der See lag schon im Schatten, als Thomas, auch Zwilling genannt, die kleine Schenke betrat, in der sich die Fischer abends einzufinden pflegten.
    »He, Wirt, sieht ja verdammt entvölkert aus, deine Kneipe! Ist wohl auch der Nazarener daran schuld, den sie überall als neuesten Messias ausschreien? Katastrophe! Dir raubt er die Kundschaft, mir raubt er die Freunde. Am besten, wir tun uns zusammen und gründen den Club der Messiasgeschädigten. Paß auf, dir gräbt er demnächst überhaupt das Wasser ab — bildlich gesprochen — , wenn er weiter Wasser in Wein verwandelt, wie drüben in Kana.«
    Der Wirt nickte nachdenklich. »Hab davon gehört. Tolle Sache!«
    »Wenn's stimmt«, sagte Thomas. »Ich bin da skeptisch. Ich kann mir nicht vorstellen, daß von den Hochzeitsgästen — meine Freunde eingeschlossen — auch nur ein einziger zu dem Zeitpunkt des sogenannten Wunders gepantschten Wein von gesüßtem Wasser unterscheiden konnte. Schenk du mir wenigstens einen hundertprozentig echten ein!« Er hielt ihm den Becher hin.
    »Aber wenn jemand Krankheiten wegzaubert durch bloßes Auflegen der Hände, warum sollte er nicht Wasser in Wein verwandeln können?«
    »Sehr einfach: Dort handelt es sich um Psychologie, hier um Chemie. Was für Krankheiten bringt er zum Verschwinden? Fieber, Bauchweh, Depressionen, Besessenheit. Sogar ein medizinischer Laie wie ich weiß, daß solche Krankheiten häufig seelische Ursachen haben: Enttäuschung, Ärger, unterdrückte Wut, aufgestauten Haß. Da hängt die Heilung vom Vertrauen in den Arzt und von der Einbildung ab. Du kennst doch auch die Weiber, die auf Wunsch in Ohnmacht oder hysterische Krämpfe fallen und ebenso auf Wunsch damit aufhören. Ein hypnotischer Blick, ein suggestives Wort, eine priesterliche Geste — schon sind Fieber, Schmerzen und Dämonen entflohen. Kaputte Knochen, erblindete Augen, angeborene Verwachsungen — dergleichen zu heilen, das würde mir schon eher imponieren. Oder einen Aussätzigen.«
    »Nathan zum Beispiel.«
    »Ja, Nathan, dem die Lepra Finger und Zehen weggefressen und das halbe Gesicht verstümmelt hat. Stell dir vor, der tritt hier plötzlich herein mit gesunden Gliedmaßen und glatter, reiner Haut, und ich könnte alles mit meinen Händen überprüfen. Aber vor solchen Kranken hütet sich dieser Nazarener wohlweislich; anscheinend kennt er die Grenzen seiner sogenannten Wunderkraft.«
    »Erzählten sie nicht, daß er einen Gelähmten geheilt hat? Der stand plötzlich auf, nahm sein Bett und ging nach Hause.«
    »Kunststück! Auch Lähmungen haben oft seelische Ursachen, schreckliche Erlebnisse zum Beispiel. Außerdem läßt sich bei solchen Heilungen nachhelfen. In Cäsarea trieb sich vor Jahren ein ähnlicher Wundertäter herum. Der hatte die Leute vorher bestochen, Krankheiten zu mimen und sich von ihm kurieren zu lassen.«
    »Ein Betrüger ist dieser Jesus bestimmt nicht«, sagte der Wirt. »Würden sonst die Zebedäussöhne und die Jonas-söhne zu ihm halten?«
    »Schlichte Gemüter, mein Freund. Und außerdem soll er ihnen hohe Posten bei der Polizei versprochen haben, in seinem messianischen Reich.«
    »Hast du gehört, wie begeistert sie von ihm sprechen? Auch so nüchterne, hausbackene Burschen wie Jakob. Wie erklärst du dir das?«
    »Sehr einfach: verhext. Ja, blinzle nicht so mißtrauisch! Wenn dir das Wort nicht paßt, so nenne es halt überwältigt, überrumpelt, fortgerissen von dem ohne Zweifel gefährlichen Charme dieses Nazareners. Aber mich stecken sie damit nicht an, ich bringe dieses Übermaß an Einfalt nicht mehr auf.«
    »Anders ausgedrückt, du getraust dich nicht, wie sie dem Drang des Herzens zu folgen. Armes, gebranntes Kind!« Thomas blickte den Wirt überrascht an. »Dich hat das Jesusfieber auch schon erwischt, wie? Schließ deine Kneipe und folge ihm nach!«
    »Wenn ich's nur könnte«, sagte der Wirt traurig. »Ihr habt es einfacher. Kommt ihr vom Fischfang heim, habt ihr Feierabend. Ich steh dann hinter der Theke und nehme an den aufregenden Ereignissen nur auf dem Umweg über das Gerede der Gäste teil. Vielleicht sehe ich diesen Jesus nie, falls er, wie es heißt, bald nach Jerusalem aufbricht. Denn daß er den Weg zu mir findet, halte ich

Weitere Kostenlose Bücher