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Zwölf im Netz

Zwölf im Netz

Titel: Zwölf im Netz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Adalbert Seipolt
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Was sollten sie tun? Judas bemerkte ihre ratlosen Blicke und winkte sie herbei. »Wollt ihr zu ihm?« fragte er.
    »Wohin sonst? Aber es führt kein Weg zu ihm.«
    »Doch, übers Dach.«
    »Übers Dach?« fragten sie ungläubig. »Und wer zieht uns die Bahre hinauf?«
    »Wartet, ich hole zwei Seile.« Und schon eilte Judas zum Boot, während Simon prüfte, wo man am leichtesten auf das Dach steigen könnte. Schließlich besaß er da gewisse Erfahrung; in die römische Waffenkammer waren sie auch von oben her eingestiegen — und im Gefängnis gelandet.
    Was Jesus predigte, hörten Simon und Judas nicht mehr. Im Augenblick war es auch wichtiger, den Gelähmten mit der Bahre auf das Dach zu transportieren, was an der Seitenwand der Synagoge, ohne Aufsehen zu erregen, möglich schien. Als das mit einigen Zornes- und Schweißausbrüchen und vereinten Kräften geschafft war — zum Glück geriet der Gelähmte, den sie an den Bahrenholmen festzurrten, nicht in Panik, sondern genoß seine Luftreise im Vertrauen auf Gott und Simons Geschicklichkeit — , atmeten sie erst einmal tief durch, bevor sie anfingen, die Ziegel möglichst so vorsichtig abzudecken, daß sie den andächtigen Zuhörern nicht auf die Köpfe fielen. Tatsächlich bemerkte zunächst niemand, welch dramatische Herabkunft sich über ihren Häuptern anbahnte, so gespannt lauschten sie den Worten des Rabbi aus Nazareth.
    Als erste reckten zwei Pharisäer die Hälse nach oben. »Vorsicht!« schrie der eine und ging hinter dem zweiten in Deckung. Alles starrte in die Höhe, wo durch das geöffnete Dach der blaue Himmel blickte. Aber nicht nur der, sondern auch Judas mit fröhlichem Gesicht. »Keine Angst, Leute«, rief er, »wir lassen gleich einen Gelähmten herunter! Rabbi, sage ihnen, daß sie Platz machen sollen!«
    Jesus tat, was er wünschte; die Leute wichen etwas zur Seite, schauten mit gespannter Neugier, wie die Bahre an zwei Seilen gehalten herunterschaukelte. Die Menge klatschte Beifall, sogar zwei Pharisäer, was ein dritter sofort in seinem Notizbüchlein vermerkte. Dann trat tiefe Stille ein.
    Simon und Judas lagen bäuchlings auf dem Dach und genossen aus der Vogelperspektive die aufregende Szene: der Rabbi aus Nazareth, der den flehentlichen Blick des Gelähmten auffing, die Pharisäer, die sich nahe herandrängten, daß ihnen ja kein Wort entgehe, die atemlose Menge, die nur darauf zu warten schien, ein neues Wunder begeistert zu bejubeln.
    Einen Augenblick lang schaute Jesus vom Gelähmten weg auf Judas. Dann beugte er sich zum Kranken, berührte ihn kaum merklich an der linken Schulter und sprach mit ruhiger Stimme: »Deine Sünden sind dir vergeben.«
    Enttäuschtes Gemurmel durchwogte die Menge. Sünden vergeben — war das alles? Hatten die Männer auf dem Dach deshalb das schwierige Kunststück unternommen? Sünden vergeben — da sieht man nichts. Sie wollten etwas mit eigenen Augen erleben, um davon noch den Kindeskindern erzählen zu können, ein Wunder, wie es in Galiläa bisher nicht geschehen war, ein Wunder an diesem stadtbekannten Unglücklichen, von dem jeder wußte, daß er keine Zehe krümmen, mit den Händen keine Feder heben konnte. Klang das Gemurmel der Leute enttäuscht, so war das Getuschel der Pharisäer bedrohlich. Was maßte dieser Mensch sich da an? Wer kann Sünden vergeben außer Gott allein? Jesus blickte ihnen so frei ins Gesicht, daß einige den Kopf senkten. »Was denkt ihr?« fragte er. »Was ist leichter: zu sagen, deine Sünden sind dir vergeben oder: Steh auf und geh umher?«
    Noch ehe jemand antworten konnte, fuhr er mit erhobener Stimme fort, so daß man ihn im letzten Winkel der Synagoge, draußen auf dem Platz, aber vor allem auf dem Dach hören konnte: »Damit ihr aber wißt, daß der Menschensohn Vollmacht hat, auf Erden Sünden zu vergeben, sage ich zu dir« — und dabei beugte er sich wieder über den Gelähmten — »steh auf, nimm dein Bett und geh nach Hause.« Ein vielstimmiger Schrei brach los, als der Gelähmte die Leintücher abschüttelte, von der Bahre sprang, jubelnd die Arme hochriß wie ein Sieger und dann von der Menge unter unaufhörlichen Heilrufen nach Hause geleitet wurde. Die Pharisäer schlichen zum Nebeneingang hinaus.
    Simon ließ sich an den Seilen auf den Boden herab, stürzte dem Meister zu Füßen und rief erschüttert: »Rabbi, du bist der Größte in Israel. Du wirst uns von aller Knechtschaft befreien.«
    Jesus reichte ihm die Hand. »So komm, Simon, und folge mir

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