Zwölf im Netz
für unwahrscheinlich. Trotzdem...«
»Was, trotzdem?«
»Trotzdem bewahre ich den besten Tropfen für ihn auf. Daß er ein Kenner ist, hat sich ja in Kana gezeigt.«
»Aha, du möchtest in seinem Reich Hoflieferant für Spirituosen werden. Sieh mal an, unser Wirt ist ein vorausplanender Schlaukopf«, spottete Thomas.
»Und du ein unverbesserlicher Skeptiker. Da kommt noch einer, der zum Club der Messiasgeschädigten gehört. Seit ihm der Nazarener die Zuhörer abspenstig macht, steigt sein Weinkonsum ums Doppelte! 'n Abend, Rabbi Schebu-lon!«
In der Tür erschien die massige Gestalt eines weißhaarigen Greises, in einen makellosen Kaftan gekleidet. Der Wirt empfing ihn ehrfürchtig, klopfte rasch das umfänglichste Polsterkissen aus, auf dem sich der Rabbi schnaufend niederließ. Thomas verneigte sich höflich. Der Vertreter der Geistlichkeit von Betsaida winkte matt zurück. Der Wirt stellte ihm einen Krug mit Rotwein neben das Polster und füllte ihm den Becher bis zum Rand. Schebulon nippte nur mißmutig und fingerte nervös an seinem Spitzbart herum. »Schlechte Anweisungen vom Synedrion?« fragte der Wirt neugierig.
»Alle Anweisungen von oben sind schlechte Anweisungen. Ich soll ihn vorerst gewähren lassen und unauffällig überwachen, raten sie mir, diese Vorgesetzten Hohlköpfe. Unauffällig überwachen, ich!« Er schlug sich auf den Bauch. Dann besann er sich, daß Thomas vielleicht nicht eingeweiht sei in seinen Kummer, und sagte erklärend: »Dieser Jesus von Nazareth ist gemeint.«
Thomas nickte verständnisvoll.
»Ihr habt wohl auch von ihm gesprochen, wie? Ganz Galiläa kennt kein anderes Thema mehr. Ich kann's nicht mehr hören. Ausgerechnet in meinem Sprengel, in meinem friedlichen, erzkonservativen Sprengel muß das passieren. Dieser Mensch macht alles kaputt, was ich in zwanzig Jahren aufgebaut habe. Mein ganzes Ansehen ist dahin. Ich mag kein gewandter Prediger sein, aber bisher hörten die Leute respektvoll zu, wie es sich geziemt, wenn jemand Gottes Wort ausdeutete. Und jetzt? Jetzt bin ich eine komplette Null.«
»Trink, Rabbi Schebulon«, drängte ihn der Wirt, der sich dieses Gejammer offenbar schon einige Abende lang anhören mußte, »oder schmeckt dir der Wein auch nicht mehr?« Der Alte probierte den Wein. »Weiß nicht, ein bißchen abgestanden, aber noch genießbar.« Er ließ den Rest des Bechers in die Gurgel laufen und zwinkerte boshaft. »Mußt halt auch mal den Dorf brunnen von Kana anzapf en, Wirt! Kana — das war unbestritten sein bester Streich. Erstens, Wein in Wasser, laß ich gelten, zweitens, war mir sehr sympathisch, weil es in Kana passierte und nicht hier. Darf der Kollege Mosche auch mal einen Bericht abfassen fürs Synedrium. Tut er nämlich genauso gern wie ich.«
»Ernstliches könnt ihr doch gar nicht gegen Jesus Vorbringen«, sagte Thomas, »er lehrt nichts Unrechtes und betet pflichtgemäß in der Synagoge.«
»Pflichtgemäß? Mehr als pflichtgemäß! Aber das ist eben das Verdächtige. Außerdem betet er auch draußen, in der frischen Luft. Und das erscheint noch verdächtiger — mir jedenfalls. Der Obrigkeit teile ich es vorläufig noch nicht mit. Die witzeln gleich über den Bauernpriester, der Gespenster sieht.«
»Was wirfst du ihm dann vor? Seine Wunderheilungen?«
»Jawohl, die Wunderheilungen! Ich verstehe nichts von
Zauberei, doch ich würde mir die Leute sorgfältiger auswählen, denen ich zu gesunden Gliedmaßen verhelfe und das Augenlicht wiederschenke. Warum sind sie lahm und blind? Zur Strafe dafür, daß sie in schweren Sünden schwelgten. Das weiß doch jeder. Und nun frag ich dich, woher nimmt ein Mensch wie du und ich die Vollmacht, die Strafe abzukürzen, die Gott über solche Sünder verhängt hat? Anmaßung, nichts als Anmaßung. Natürlich klatschen die Unwissenden Beifall, aber die Wissenden« — er leerte den zweiten Becher in einem Zug — »wie wir, riechen sofort, daß da etwas stinkt, nach Dämonen stinkt. Mit denen scheint er sowieso irgendwie im Bunde zu stehen. Warum gehorchen sie ihm sonst? — nach einem kurzen Aufbäumen, zugegeben, doch das ist alles Theater. Tricks! Bei den Griechen laufen hundert solcher Wundertäter herum. Hier staunt man nur, weil er der erste und einzige ist. Wenn er sich nur ausmalen könnte, was er mit seinen Heilungen für Unheil anrichtet. Der Gelähmte, der auf sein Geheiß die Krücken in die Ecke warf, hat sich auf dem Heimweg über ein junges Mädchen geworfen...«
»Sagen böse
Weitere Kostenlose Bücher