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Zwölf im Netz

Zwölf im Netz

Titel: Zwölf im Netz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Adalbert Seipolt
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Zungen«, wandte der Wirt ein, »bewiesen ist nichts.«
    »Ist auch egal. Jedenfalls darf sich's der Nazarener auf sein Konto schreiben, wenn es stimmt. Nazarener — warum sucht er sich nicht seine Heimatstadt als Tummelplatz seiner Umtriebe aus? Warum? Weil ihn die Leute dort kennen, weil sie ihm seine kümmerliche Herkunft und seine dürftige Ausbildung unter die Nase reiben. Die lassen sich nicht blenden wie unsere Fischer, Händler und Bauern. Mir wäre ja alles egal; ich spräche sämtliche Segenswünsche über ihn aus, wenn er sich nur einen anderen Sprengel aussuchte, bei jüngeren Kollegen, die leidenschaftlich gern mit der Behörde korrespondieren. Ich will meine Ruhe, sonst nichts.«
    Er goß sich selbst den dritten Becher ein, schlürfte ihn leer und kehrte Thomas den Rücken zu, zum Zeichen, daß er nicht mehr behelligt zu werden wünschte, vor allem nicht durch Gerede über den Störenfried aus Nazareth.
    Der Wirt rückte näher zu Thomas, sie unterhielten sich im Flüsterton.
    »Ein armer Hund, unser Schebulon! Vor zwanzig Jahren strafversetzt nach Betsaida wegen geringfügiger Unterschlagungen oder Unregelmäßigkeiten in der Synagogenkasse. Bisher haben ihn die Leute einigermaßen geachtet, trotz seines Hangs zu übermäßigem Essen und Trinken. Schau dir nur seine Gichtfinger an. Und seinen kolossalen Bauch. Nur die Pharisäer mäkelten an ihm herum und verlangten einen würdigeren Priester für Betsaida. Würdiger, eine recht dehnbare Charakterisierung für die Geistlichkeit. Benimmst du dich menschlich, läufst du Gefahr, unwürdig zu erscheinen,- benimmst du dich würdig, fällt es leicht unmenschlich aus. Sei froh, daß du kein Rabbi bist. Bei Jesus scheint es freilich anders zu sein. Der bewahrt Würde, je weniger er auf sie bedacht ist; der spricht auf offener Straße zweifelhafte Frauen an, und keiner zweifelt an ihm; der kniet sich neben die Kinder, damit er, auf Augenhöhe mit ihnen, vertrauter plaudern kann, und niemand hält ihn für kindisch.«
    »Es ist wirklich schade, daß du als Wirt unabkömmlich bist«, bemerkte Thomas mit sanfter Anzüglichkeit, »ich glaube, einen vernünftigen Koch und tüchtigen Einkäufer könnte er brauchen. Sonst mästen ihn die frommen Damen mit Süßigkeiten wie jeden schlanken, jungen Rabbi. Und das Ende wäre — ein zweiter Schebulon.«
    So plauderten sie fast eine Stunde miteinander. Thomas versuchte immer wieder, das Thema zu wechseln — umsonst, ein jedes Gespräch führte zu Jesus zurück.
    Plötzlich flog die Tür auf. Ein gedrungener, untersetzter Ma nn von etwa 30 Jahren stolperte über die Schwelle, schweißgebadet und keuchend vor Aufregung. Er fragte, ob der Rabbi Schebulon hier sei. Der Wirt deutete auf die Ecke, wo der Vertreter der Geistlichkeit vor sich hin brabbelte. »Was willst du von ihm?«
    »Mich vorstellen! Ihm beweisen, daß ich gesund bin, jawohl — geeesuuund«, schrie er dem dösenden Rabbi gellend in die Ohren, so daß dieser erschreckt in die Höhe fuhr.
    »Deswegen brauchst du doch nicht gleich so loszubrüllen«, herrschte der Wirt ihn an, »wer bist du überhaupt?«
    »Wie, ihr erkennt mich nicht? Da muß ich nachhelfen. Gib mal die Holzlöffel her!«
    Der Wirt reichte ihm zwei, er schlug sie gegeneinander, daß es klapperte, und rief quäkend: »Aussatz! Aussatz!«, legte dann die Holzlöffel wieder weg und fragte gespannt: »Nun? Ist der Groschen noch immer nicht gefallen? Ich bin Nathan.«
    »Der Aussätzige?«
    »Gewesen. Glotzt nicht so überrascht, ich bin es wirklich.« Thomas sprang auf und packte Nathan an der Schulter: »Beweise es!«
    Der lächelte pfiffig. »Daß ich aussätzig war, kann ich dir nicht mehr beweisen, nur daß ich völlig gesund bin.«
    »Hat dich — hat dich Jesus von Nazareth geheilt?«
    Nathan grinste fröhlich. »Das hast du gesagt, nicht ich. Merkt es euch gut. Mir hat er nämlich ausdrücklich verboten, seinen Namen zu verbreiten, und ich halte mich daran. Sonst hetzt er mir zur Strafe die Krätze auf den Hals. Er kann nämlich alles. Ich soll mich unserem Priester zeigen und ein Dankopfer darbringen. He!« Nathan zupfte Schebulon, der noch nicht zu begreifen schien, am schütteren Spitzbart, »he, alter Geißbock, ist Nathan rein oder nicht? Hast immer einen weiten Bogen um mich gemacht und dir die Nase zugehalten — sag, bin ich jetzt rein? Hat es dir die Rede verschlagen? Da muß ich dir anders kommen!« Und er streifte sich das Hemd über den Kopf, warf es auf den Boden — Schebulon

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