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Zwölf im Netz

Zwölf im Netz

Titel: Zwölf im Netz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Adalbert Seipolt
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zu ihr in die Kutsche zu steigen.«
    »Mach dich später lustig über mich! Sag mir lieber, wo Jesus ist. Ich muß zu ihm.«
    »Geständnisse ablegen? Schlechte Zeit dafür. Er befindet sich in großer, lärmender Gesellschaft, bei Levi, unserem Oberzöllner.«
    »Was, bei diesem widerlichen Kerl? Das wundert mich sehr.«
    »Mich wundert es auch. Ich bin nicht hingegangen, obwohl ich eingeladen war.«
    »Jesus wird seine Gründe haben.«
    »Das hoffe ich auch. Doch jetzt nimm erst mal Platz. Du bist ja völlig naßgeschwitzt. Leider kann ich dir keine Dusche mit heißem und kaltem Wasser anbieten wie deine flotte Römerin. Also, wie war's bei ihr, was habt ihr so alles gemacht?«
    »Wärst halt mitgegangen«, entgegnete Philipp verärgert, »aber du mußt ja deine Abhandlung über die Tonhöhe des Synagogengesangs und seine Auswirkung auf das Liebesieben der Ameisen korrigieren.«
    »Ich nach Tiberias gehen? Keinen Fuß setze ich in dieses Babylon. Und ich rolle auch nicht auf Rädern hinein an der Seite einer überfütterten Venus.«
    Philipp warf ihm einen überraschten Blick zu. »Nat, du erfindest immer neue Ausdrücke für sie. Beschäftigt sie deine Phantasie so stark? Oder bist du bloß neidisch, du wahrer Israelit? Es wäre noch Platz in der Kutsche für dich gewesen, und du hättest unser seichtes Geplauder mit dem nötigen Tiefgang versehen. Du wunderlicher Heiliger! Aber ich will deine Neugier unverzüglich stillen. Sie fragte mich, wo ich die ganze Zeit stecke; sie suche mich überall, das Mosaik müsse doch vollendet werden; ohne mich sei das unmöglich, und so weiter.«
    »Sie na hm dich in ihre Villa mit?«
    Philipp nickte. »Und ließ mir sofort ein heißes Bad bereiten. Inzwischen servierte mir ihre Zofe einen köstlichen Imbiß mit griechischen Feigen und spanischen Haselnüssen. Delikat, sag ich dir. Dann mußte ich hinein ins wohlige Naß. Meine Straßenkleidung gab sie zum Waschen. Als ich aus dem Bade stieg, drapierte sie mich als Apollo mit Leier und Lorbeerkranz, wie immer, wenn ich Modell sitzen mußte. Aber sie machte sich nicht an die Arbeit, sondern rief ihre Freundinnen herbei, von der rothaarigen Zoe bis zur graumelierten Claudia.
    »Und alle römischen Damen huldigten Philipp Superstar.«
    »Du irrst, nicht mir, sondern Jesus.«
    Für einen Augenblick war Natanael sprachlos. »Na hör mal«, sagte er dann, »du willst mir doch nicht weismachen, daß der Meister einen Fuß in dieses Babylon setzt?« Philipp tat sehr geheimnisvoll. »Eines Tages vielleicht doch. Erste Beziehungen zu den Römern hat er schon geknüpft.« Diese Mitteilung erregte Natanael aufs äußerste. »Überlege dir, was du sagst! Beziehungen zwischen Jesus und den Römern? Erklär das genauer.«
    »Alles schön der Reihe nach. Doch gib mir zuerst was zu trinken, meine Kehle ist trocken wie die Wüste }uda.« Natanael füllte einen Becher mit viel Wasser und wenig Wein und reichte ihn Philipp. Der trank langsam in kleinen Schlucken und dachte: Dich laß ich jetzt zappeln. Endlich bequemte er sich, Natanaels Befürchtung zu zerstreuen. Jesus sei nicht in Tiberias gewesen, die römischen Damen hätten nur alles mögliche und unmögliche über ihn wissen wollen; geradezu ausgequetscht hätten sie ihn wie eine Zitrone: Wie alt Jesus sei, wie groß, welche Augenfarbe er habe und was für Hände, glattes oder gelocktes Haar, ob er Süßigkeiten möge und welche, und warum andere nicht; ob er ruhig schlafe oder um sich schlage, wie oft er sich dusche und welches Parfüm er benutze, ob er wirklich aus königlicher Familie stamme oder der illegitime Sohn eines römischen Konsuls sei; und vor allem, wie er sich zu den Frauen verhalte und ob man mit ihm über die Liebe reden könne. »Und was hast du geantwortet?«
    »Man kann. Darauf fragten sie mich nach seiner Adresse.«
    »Und du hast Jesus wörtlich zitiert: »Suchet und ihr werdet mich finden«.«
    »Aussichtslos, zum Suchen fehlt ihnen jede Zeit. Die brauchen sie für den Friseur, für die Massagen, für den Schneider und für die Hutmacherin. Nein, ich zitierte ein anderes Wort des Meisters: »Füchse haben ihre Höhlen und Vögel ihre Nester, aber der Menschensohn hat keinen Ort, wohin er sein Haupt legen kann.« Was passierte? Sie bieten ihm alle ihre Zweithäuser auf dem Lande an. Einen waschechten Wundertäter schwesterlich zu bemuttern — dieses Glück hatten ihnen die Götter bisher nicht gegönnt. Nur darauf sind sie scharf, auf Wunder und Skandale. An seiner

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