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Zwölf im Netz

Zwölf im Netz

Titel: Zwölf im Netz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Adalbert Seipolt
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sträubte sich mit Händen und Füßen. Da schlugen sie mich vor. Ich sagte nicht nein — einer muß den Geldfuchs ja machen.
    Meine Stellung innerhalb der Gruppe erleichtert das freilich nicht. Sie war schon vorher zwiespältig. Einerseits respektieren sie mich, weil ich gewandter und weitläufiger bin als sie ; andererseits bin ich ihnen zu kompromißlos. Und da sie, trotz aller jugendlichen Begeisterung, im Grunde doch ängstliche Kleinbürger sind, halten sie meinen konsequenten Einsatz für ungesunden Fanatismus. Hoffentlich erwecken diese kritischen Notizen jetzt keinen falschen Eindruck bei dir, lieber Dan. Keiner von uns zwölf denkt daran, aus dem »Unternehmen Messias« auszusteigen. Ich am allerwenigsten. Letzten Endes gehen alle unerfreulichen Begleiterscheinungen auf das Konto unserer Ungeduld. Wir warten, daß Jesus endlich sagt: Meine Stunde ist gekommen.
    Lange kann es nicht mehr dauern. Ich tippe auf das nächste Paschafest. Wie ich Dir einleitend schrieb, halte Dich bereit! Notfalls müssen wir Jesus zwingen, die Stunde zu nutzen. Das größte Geschenk des Himmels wäre eine Totenerweckung kurz vor seinem Auftritt in Jerusalem. Wir müssen nur dafür sorgen, daß die Wirkung nicht so schnell verpufft wie seinerzeit in Naim. Das Volk feierte ihn als neuen Propheten — er ließ sich von einem knickrigen Pharisäer zum Essen einladen. Eine Riesenchance vertan! Beim nächsten Mal müssen wir ihn notfalls zwingen, die Gunst der Stunde zu nutzen. In diesem Sinne
    Dein Freund Judas.

    PS. Ein weiterer Unterschied zwischen uns: Die anderen elf hat Jesus zu sich gerufen, ich kam aus eigenem Entschluß zu ihm. Genau genommen hat also nicht er mich, sondern ich habe ihn erwählt. Gibt mir das nicht das Recht zu größerer Selbständigkeit?

ZWISCHENSPIEL IN EPHESUS (III)

    Auf Gymnasiasten war einfach kein Verlaß.
    Der letzte Fisch war verkohlt, Poly hatte nicht aufgepaßt; jetzt warf er ihn der wilden Katze vor, die ihn schon die ganze Zeit mit hungrigen Augen angefunkelt hatte. Er wischte sich die Finger am Hemdzipfel ab.
    »Ich kann den Ärger des Judas gut verstehen. Ich gehöre ja auch einer Clique an, wie Sie wissen. Da empfindet man es schon als Verstoß gegen die Kameradschaft, wenn sich einige absondern.«
    »Wir sonderten uns nicht ab, das tat Jesus — aus Gründen, die er uns nie erklärte.«
    »Und Sie waren sogar sein Liebling — wenn Sie diesen Ausdruck gestatten.«
    Johannes mußte lachen. »Er paßt nicht mehr recht zu einem klapprigen Alten von 80 Jahren, das stimmt.«
    »Ich finde, er paßt überhaupt nicht. Liebling — da stell ich mir ein verzogenes, verwöhntes Knäblein vor, Mamas Liebling zum Beispiel.«
    »Der war ich auch einmal.«
    »Frauen mögen das Wort. Meine Tante nennt mich auch immer so. Aber unter Männern? Sie würden mich bestimmt nie so bezeichnen und ich Sie auch nicht, obwohl ich spüre, wie sehr Sie mich mögen, und ich Sie von der Stelle weg gegen meinen Vater Umtauschen würde.«
    Johannes wußte nicht, ob er lachen oder entrüstet den Kopf schütteln sollte über so viel ungenierte Aufrichtigkeit.
    Poly fuhr fort: »Daß Jesus Sie gestreichelt oder mit verliebten Augen angehimmelt hätte oder gar heimlich Ihnen Süßigkeiten zugesteckt, das halte ich für ausgeschlossen. Ein echter Mann tut so was nicht, ein Messias schon gar nicht. Warum nennen Sie sich dann aber im Evangelium so oft den Jünger, den Jesus liebte? Er liebte doch alle.« Poly dachte nach. Vielleicht liebte er jeden mit der Liebe, die er brauchte? Fragend richtete er die Augen auf Johannes. »Und weil Sie der Jüngste waren, weder die Liebe einer Frau noch einer Freundin besaßen und Jesus alle Sympathie ungeteilt entgegenbrachten, liebte er Sie mehr als die andern, nicht wahr!« Johannes schwieg.
    Poly erschrak. Hatte er sich zu weit vorgewagt? »Sie müssen mir natürlich nicht antworten, Johannes«, sagte er. »Auch mit siebzehn Jahren weiß man, daß es Geheimnisse gibt, die man lieber nicht ausspricht. Klar.«
    »Leg Holz nach«, sagte der Alte, »sonst erlischt das Feuer und wir sitzen im Finstern da.«
    »Das ist schlecht fürs Nachdenken. Wenn das Feuer lodert, lodert auch der Geist, behauptet irgend so ein Dichter. Und dunkle Rätsel lösen sich auch im Hellen besser.« Er suchte nach dürren Ästen, knickte sie um und warf sie ins Feuer. Bald züngelten die Flammen munter in die Höhe. Im Feuerschein erkannte Poly, wie ernst das Gesicht des alten Apostels war.
    » Weißt du, was ich

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