Zwölf im Netz
Organisation haben sie keinen blassen Schimmer. In ihrer unbekümmerten Art meinen sie, der Messias brauche nur hoch zu Roß mit fliegenden Fahnen und unter Posaunenklängen durch das Damaskustor einzuziehen, und schon räumen die Römer fluchtartig die Festung Antonia und Herodes seinen Schattenthron. Welches feinmaschige, konspirative Netz vorher geknüpft, wie Jesu Auftreten publizistisch vorbereitet werden, welche Maßnahme zuerst getroffen werden muß, welche Schlüsselpositionen im Synedrion mit Vertrauensleuten zu besetzen sind — alle diese Probleme sind ihnen kaum bewußt, geschweige denn, daß sie sie lösen könnten. Bemühe also bitte du dich, Kontakte zu allen verläßlichen Patrioten aufzunehmen. Und zu den Waffenhändlern inJoppe.
Voraussichtlich wird Jesus von einigen Dutzend Anhängern begleitet, wovon du das Dutzend Frauen als Kämpfer natürlich abstreichen mußt (obwohl einige von ihnen zehnmal mutiger sind als die Männer). Von Jesu Leibwache — wenn ich seine engeren Freunde mal so bezeichnen darf — kommen als brauchbare Kämpfer im Ernstfall nur die beiden Simon in Frage. Der eine, unser Zelot, brüstet sich damit, römische Munitionsdepots ausgeraubt zu haben und was an aussichtslosen Nadelstich-Aktionen gegen die Besatzungsmacht sonst noch alles von idealistischen Feuerköpfen praktiziert wird. Immerhin, er versteht das Schwert zu führen; sein Namensvetter übrigens auch. Die andern, fürchte ich, fuchteln damit in der Luft herum oder richten ein Blutbad im eigenen Lager an. Hoffentlich stürzen sie beim Erklettern der Festung Antonia nicht so oft ab wie unser kurzer Jakob auf der Tonleiter, wenn er mit der Posaune den Einzugsmarsch übt.
Beim nächtlichen Lagerfeuer verteilen sie fleißig Posten unter sich beziehungsweise streiten darum. Ein Abonnement beim himmlischen Hochzeitsmahl genügt ihnen nicht mehr, auch von der irdischen Futterkrippe möchte sich keiner abdrängen lassen. Ob da die Ehefrauen nicht kräftig nachschieben? Sie tun, als hätten sie die Ernennungsurkunden zum Polizeichef, zum Kriegsminister und zum Statthalter schon in der Tasche.
Zum Flottenkommandanten fühlen sich diese Süßwassermatrosen sowieso alle berufen. Jesus entgehen diese Eifersüchteleien nicht. Neulich, als sie wieder mal heftig stritten, wer der Größte unter ihnen sei, stellte er ein Kind neben sie und sagte: Wer unter euch der Kleinste ist, ist groß. Die meisten dürften diesen Wink verstanden haben. Nur unser kurzer Jakob verstand es wieder mal falsch und hält sich für den geborenen Vizekönig! Ausgerechnet der! Unter all dem leidet die Geschlossenheit unserer Zwölferriege. Der Honigmond der Freundschaft ist vorbei. Ganz freisprechen von jedem Vorwurf kann ich da auch Jesus nicht, leider. Um einen alten Spruch abzuwandeln: Er behandelt uns alle gleich, manche jedoch gleicher: Simon Petrus, Andreas und Johannes. Manchmal tritt auch Jakob diesem erlauchten Zirkel bei. Neulich z. B. durften sie Jesus auf den Berg Tabor begleiten. (Andreas nicht; er mag keine Berge, schon gar nicht, wenn das Wetter so verrücktspielt wie damals, bald gewittert es, bald strahlt die Sonne.) Sie müssen da oben mit Jesus zusammen phantastische Dinge erlebt haben. Trotzdem schweigen sie darüber beharrlich bis zum heutigen Tag, angeblich auf ausdrücklichen Befehl des Meisters. Doch wer sagt uns, ob sie sich nicht wichtigmachen wollen? Jedenfalls war unsere kleine Truppe bisher vom Bazillus der Geheimniskrämerei verschont. Wir hatten alle Erfahrungen einander mitgeteilt. Jetzt bildet sich eine Art Klassengesellschaft heraus: oben die eingeweihten Generalstäbler, unten das schlechtinformierte Fußvolk.
Daß unter solchen Umständen auch andere, bisher verdeckte Gegensätze aufbrechen, wundert keinen, der mit einem Tropfen psychologischen Öles gesalbt ist. Philipp und der Zelot werfen sich gegenseitig ihre Vergangenheit vor ; die Zebedäussöhne halten sich für was Feineres, weil Papa selbständiger Unternehmer und Mama Fahnenmutter der freiwilligen Feuerwehr ist. Thomas nörgelt und meckert an allem herum, und Simon Petrus schwingt sich immer öfter ungebeten zum Wortführer auf.
Am wohlsten fühlt sich Levi Matthäus. Du ahnst nicht, welch sonniges Gemüt die einst so verdrießliche Krämerseele offenbart, seit er nichts mehr mit Geld zu tun hat. Wir besitzen eine gemeinsame Kasse — zur Zeit beträgt unsere ganze Barschaft knapp 200 Silberlinge. Jeder, auch Jesus, meinte, Levi sollte sie verwalten. Der
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