Zwölf Jahre Ein Sklave: 12 Years a Slave (Gesamtausgabe) (German Edition)
Baumwolle gepflückt. Nun erhält jeder Sklave einen Sack. Dieser hat einen Gurt, der so um den Hals gelegt wird, dass sich die Öffnung des Sacks etwa auf Brusthöhe befindet und der Boden fast die Erde berührt. Zusätzlich bekommt jeder auch einen Korb, der fast 300 Liter groß ist. Darin füllt man die Baumwolle sobald der Sack voll ist. Die Körbe werden zum Feld gefahren und an den Anfang der Reihen gestellt.
Wenn ein neuer Erntehelfer, der diese Arbeit noch nie verrichtet hat, das erste Mal ins Feld geht, wird er ordentlich ausgepeitscht, damit er an diesem Tag so viel pflückt wie er kann. Nachts wird seine Ernte gewogen und man weiß, wie gut seine Fähigkeiten sind. Er muss jede darauf folgende Nacht die gleiche Menge hereinbringen. Wenn er weniger erntet, wird das als Zeichen der Faulheit gewertet und er wird erneut ausgepeitscht.
An einem normalen Tag sollten siebzig bis achtzig Kilo geerntet werden. Ein Sklave, der an diese Arbeit bereits gewöhnt ist, wird bestraft, wenn er diese Menge nicht schafft. Es gibt große Unterschiede was diese Art Arbeit angeht. Manche haben den Dreh raus oder sind schlicht behände genug und verrichten diese Arbeit mit hoher Geschwindigkeit und beiden Händen, während andere selbst nach größter Anstrengung und Übung nicht mal den üblichen Standard schaffen. Solche Kräfte werden vom Feld genommen und anderen Arbeiten zugeführt. Patsey, von der ich noch mehr erzählen werde, war die bemerkenswerteste Bauwollpflückerin am Bayou Boeuf. Sie pflückte mit beiden Händen und solcher Schnelligkeit, dass 150 Kilogramm keine Seltenheit für sie waren.
Jeder wird also nach seinen Fähigkeiten eingesetzt, aber keiner darf weniger als sechzig Kilogramm einbringen. Da ich ungelernt war in diesem "Geschäft" hätte ich meinen Herrn sicher mit der Mindestmenge zufriedengestellt, während Patsey mit Sicherheit geschlagen worden wäre, wenn sie nicht das Doppelte geschafft hätte.
Baumwolle wird 1.50 Meter bis 2.20 Meter groß. Jeder Halm hat enorm viele Äste, die sich über den Wasserfurchen treffen.
Es gibt wenig schönere Dinge für das Auge als ein großes Baumwollfeld in voller Blüte. Es erweckt einen Anschein von Reinheit, wie eine unberührte, makellose Lichtweite oder frisch gefallener Schnee.
Manchmal pflückt der Sklave die eine Seite einer Reihe rauf und die andere wieder herunter. Meistens aber arbeitet einer an jeder Seite und sammelt alles ein, was blüht. Die ungeöffneten Knospen lässt er den folgenden Pflückern. Wenn der Sack voll ist wird er in den Korb entleert und der Inhalt hinunter getreten. Wenn man das erste Mal durch das Feld geht muss man extrem vorsichtig sein, keine Äste von den Halmen zu brechen. Auf einem gebrochenen Ast wächst keine Baumwolle mehr. Epps ließ es sich nicht nehmen, einem seiner Diener, der unabsichtlich oder unvermeidlich sich auch nur im Geringsten diesbezüglich schuldig gemacht hatte, die größtmögliche Bestrafung zuteilwerden zu lassen.
Die Erntehelfer müssen im Baumwollfeld sein, sobald es hell wird und es ist ihnen, mit Ausnahme von zehn oder fünfzehn Minuten, in denen sie mittags ihre Ration kalten Bacon hinunterschlingen dürfen, nicht erlaubt auch nur einen Moment Pause zu machen bis es zu dunkel ist, um etwas zu sehen; und wenn der Mond voll ist dauert die Arbeit oft bis Mitternacht oder länger. Sie wagen es nicht mal zur Abendbrotzeit innezuhalten oder, wie spät es auch ist, in die Quartiere zurückzugehen bis der Sklaventreiber diese Anordnung gibt.
Nachdem die tägliche Arbeit im Feld getan ist werden die Körber zur Wiegestelle transportiert und die Baumwolle gewogen. Egal wie müde und erschöpft er sein mag, egal wie sehr er sich nach Schlaf und Ruhe sehnt – ein Sklave nähert sich der Wiegestelle niemals ohne Angst. Wenn das Gewicht seines Korbes zu niedrig ist – wenn er die ihm gestellte Aufgabe nicht erfüllt hat weiß er, dass er leiden muss. Und wenn er fünf oder mehr Kilogramm darüber liegt, darf er sich sicher sein, dass sein Herr das Ziel für den nächsten Tag entsprechend erhöhen wird. Egal also, ob er zu viel oder zu wenig gesammelt hat, er wird die Wiegestelle immer zitternd und voller Furcht betreten. Meistens haben sie zu wenig, deswegen sind sie darauf bedacht, das Feld nicht zu früh zu verlassen. Auf das Wiegen folgen die Auspeitschungen; danach werden die Körbe zum Baumwollhaus transportiert, wo man den Inhalt wie Heu lagert und alle Erntehelfer
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