Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Zwoelf Schritte

Zwoelf Schritte

Titel: Zwoelf Schritte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lilja Sigurdardóttir
Vom Netzwerk:
seinem Leben nicht überhandnehmen zu lassen, und wenn es doch dazu kommt – was zu einem gewissen Grad unumgänglich ist –, dann sollte man versuchen, dem sogleich etwas Gutes abzugewinnen.»
    «Ich verstehe», sage ich und bin froh, nicht zur Verteidigung ausgeholt und eine arrogante Rede über die Pünktlichkeit in verschiedenen Ländern gehalten zu haben. Ich ziehe die Jacke aus, hänge sie über die Stuhllehne und rühre eine gehörige Portion Zucker in den Kaffee.
    «Ich finde es am sinnvollsten, wenn die Leute die Schritte schnell in einem Zug durcharbeiten», sagt er und schaut mir in die Augen. Ich fühle mich immer noch etwas beschämt nach der Rüge wegen der Unpünktlichkeit und kann ihm kaum in die Augen schauen. Doch ich zwinge mich dazu und nicke. «Die meisten bemühen sich sehr, sodass sie sich bei irgendeinem Schritt verheddern. Meines Wissens ist es besser, die Schritte schnell durchzuarbeiten und es nicht zu genau zu nehmen, dann kann man sich bald erneut damit beschäftigen, dafür aber gründlicher. Dann haben die meisten das Vertrauen, dass sie es schaffen, und es ist einfacher, wieder von vorne anzufangen.»
    «Das klingt vernünftig», sage ich und meine es auch.
    «Das Wichtigste ist, die Bedeutung jedes einzelnen Schrittes zu verstehen und sie mit dem eigenen Leben zu verknüpfen.»
    «Ja, da bin ich noch grün hinter den Ohren», antworte ich, «denn ich finde es schwierig zu erkennen, wie ich diese Erfahrungsschritte mit mir in Verbindung bringen soll.»
    «Genau deswegen kannst du froh sein, mich zu haben.» Er lächelt freundlich und hat ein Leuchten in den Augen.
    «Ganz genau», sage ich und lächle zurück, froh darüber, dass die Lage sich entspannt hat.
    «Okay, dann müssen wir nur noch herausfinden, bei welchem Schritt du dich gerade befindest.»
    «Ich habe noch keinen Schritt abgeschlossen», sage ich verwundert.
    «Das glaubst du. Doch wir werden jeden einzelnen durchgehen.» Er öffnet das Buch. «Erster Schritt: Hast du deine Machtlosigkeit dem Alkohol gegenüber zugegeben?»
    «Ja. Ich weiß, dass ich der Alkoholsucht gegenüber machtlos bin und dass meine eigene Willensstärke nicht ausreicht, mich vom Trinken abzuhalten, sondern dass ich ein unterstützendes System dazu brauche. Meinst du das?»
    «Genau!» Es liegt ein Glanz in seinen Augen, von dem ich nicht sagen kann, ob es Freude oder Stolz ist, aber es ist angenehm, wenn einen jemand mit solchen Augen anblickt, und ich muss erneut an meinen Vater denken. «Und welchen praktischen Schritt hast du unternommen, um zuzugeben, dass du mit einem Problem zu kämpfen hast?»
    «Ich habe einen Entzug gemacht», antworte ich.
    «Genau!», sagt er erneut. «Und war dein Leben haltlos geworden, als du in den Entzug gegangen bist?»
    «Ja.» Ich denke an die letzten Wochen vor dem Entzug. «Ich habe mich verschuldet, im Job lief es schlecht, meine Frau hat mich verlassen, ich habe Erinnerungslücken, ich habe Sachen verloren, dann starb ein Freund meines Bruders wegen der Sauferei, und da erkannte ich, dass auch ich so enden könnte.» Als ich die Fakten meines Lebens in einem Zug aufzähle, klingen sie viel schlimmer, als es mir tatsächlich vorgekommen ist. Vielleicht sieht man die Dinge auch erst, wie sie in Wirklichkeit sind, wenn der Alkoholdunst verschwunden ist.
    «Das war der erste Schritt», sagt Geir zufrieden, und meine Verwunderung macht einer Freude Platz, etwas vollkommen verstanden zu haben und einen Erfolg verbuchen zu können.
    «Dann wollen wir uns mal den zweiten Schritt anschauen.» Er beugt sich erneut über das Buch. «Wir kamen zu dem Glauben …»
    «Ich habe deine Rede über den zweiten Schritt an dem Meeting kürzlich gehört und ganz anders verstanden als vorher.» Einen Augenblick bereue ich, ihn unterbrochen zu haben, doch er nickt.
    «Alle Alkis sind ungläubig oder vertrauen zumindest nicht auf eine höhere Macht, und der Glaube ist etwas, das geübt und nach und nach aufgebaut werden muss», erklärt er und klingt wie ein erfahrener Lehrer, der dieselben Phrasen immer wieder mit viel Geduld jedem neuen Schüler erklärt.
    «Deswegen lautet der zweite Schritt:
Wir sind zum Glauben gekommen
, und nicht:
Wir glauben

    «Als du darüber gesprochen hast, hat mich das ehrlich gesagt sehr optimistisch gestimmt», sage ich.
    «Und welchen praktischen Schritt hast du unternommen, um leichter zum Glauben zu finden?»
    «Ich bin bei den Anonymen Alkoholikern und fange langsam an, daran zu glauben,

Weitere Kostenlose Bücher