Zwoelf Schritte
Zeit auf grauenhafte Weise umgekommen ist.»
«Das dritte?»
«Aðalsteinn, kannst du dich erinnern, Egills Freund? Er war erst kurz bei den AA , als er starb.»
«Ja, richtig», meint sie nachdenklich, «doch sein Tod war ja ziemlich offensichtlich.»
«Ja, vielleicht», erwidere ich, aber der Gedanke lässt mich dennoch nicht los.
Wir sitzen einen Moment schweigend da, und Iðunn schaut zum Fenster hinaus auf den Parkplatz vor dem Haus und den hauchdünnen Streifen der Esja, der oberhalb der Häuser am Laugavegur zu sehen ist. Dann fällt ihr Blick auf den Fotoumschlag auf dem Fensterbrett, und sie öffnet ihn.
«Es ist lange her, seit ich mir meine angesehen habe», sagt sie und schaut einige Fotos durch. Die Bilder unseres kleinen Jungen scheinen sie zu beruhigen. Vielleicht, weil die stressigen Gedanken rund um die Arbeit einem viel tieferen, traurigen Gefühl über ein Schicksal Platz machen, das keiner ändern kann.
«Ich muss mich daran gewöhnen, sie zu betrachten, ohne einen betäubenden Drink in der Hand zu halten», erläutere ich, und sie schaut mich einen Moment lächelnd an. Es kommt mir so vor, als ob sie mich noch immer lieben würde. Vielleicht ist es die gemeinsame Erinnerung, die uns für immer auf eine gewisse Art miteinander verbindet; keinem Menschen steht man näher als demjenigen, mit dem man ein kleines Kind bekommen hat, das man dann wieder verloren hat. Weder Scheidung noch Hoffnungslosigkeit, noch Wut können diese Verbindung endgültig trennen.
«Wollen wir etwas zusammen essen, Iðunn?» Ich bereite mich darauf vor, dass sie ablehnt. Und gebe mich damit zufrieden, denn ich werde deshalb nicht mehr erröten oder auf einem Tiefpunkt landen. Die Fotos unseres Jungen haben eine derartige Wirkung, dass wir uns voreinander für nichts mehr schämen müssen.
«Ja, danke, das wäre prima», antwortet sie, ohne von den Bildern aufzuschauen. Ich erschrecke ein wenig und gehe in Gedanken durch, was im Kühlschrank vorrätig ist. Ich hatte mir eigentlich vorgenommen, aus dem Gemüse, das sich im Endstadium befindet, eine Suppe zu kochen. Aber ich erinnere mich, dass ich noch eine Packung Garnelen im Gefrierfach habe, nehme sie heraus und lasse fließend kaltes Wasser darüberlaufen. Ich grille das Gemüse im Ofen und gebe zum Schluss eine Honigglasur mit Dill darüber, schütte die halbgefrorenen Garnelen in siedendes Salzwasser und schmiere Knoblauchbutter auf ein paar getoastete Brotscheiben.
«Wollen wir uns zum Essen nicht die Nachrichten anschauen?», schlage ich vor, denn ich möchte nicht, dass sie denkt, das wir eine Art Verabredung haben oder ich sie anmachen will.
«Ja, das ist gut.» Sie hat gerade etwas in ihr Handy eingetippt. Ich decke den Tisch für uns vor dem Fernseher, lege große Stoffservietten auf beide Teller, da die Garnelen mit Schale sind, und um es gemütlich zu machen, zünde ich auf dem Wohnzimmertisch ein Teelicht an.
«Bitte schön», sage ich, als das Essen auf dem Tisch steht. Iðunn erhebt sich, zieht ihren dicken Pulli aus und legt das Handy zur Seite, das im selben Moment piept. Sie nimmt es erneut in die Hand, liest die SMS und sagt auf dem Weg ins Wohnzimmer:
«Nicht, dass ich wirklich was davon halte, aber aufgrund deines Verdachtes habe ich weitere Untersuchungen der Proben von Aðalsteinns Leiche angefordert.»
«Aha!», sage ich und spüre Stolz in meiner Brust. Vielleicht bin ich als geheimer Ermittler doch nicht so ungeeignet.
«Obwohl es unwissenschaftlich klingt, sind Gedankenblitze oft sehr hilfreich», erläutert sie und lächelt mich erneut liebevoll an.
«Du hättest Koch werden sollen», sagt Iðunn zufrieden, sie lehnt sich im Sofa zurück, nachdem sie eine gehörige Portion verdrückt hat.
«Vielleicht werde ich noch einer», gebe ich neckisch zurück, «ein neuer Anfang mit allem Drum und Dran.» Sie betrachtet mich eine Weile nachdenklich, lehnt sich an mich, schmiegt ihren Kopf an meine Schulter, und ich lege meine Arme fest um sie. Die Hitze, die von ihrem Körper ausgeht, wärmt mein Herz. Eng umschlungen schauen wir uns den Wetterbericht an, und es tut so gut, ihre Nähe zu spüren, dass ich kaum zu atmen wage, aus Angst, sie könnte sich bewegen. Doch sie drückt sich stattdessen fester an mich. Ich spüre ihre Lippen an meinem Hals, und ihre Finger streicheln den unteren Teil meines Rückens, ein wohltuendes Gefühl breitet sich in meinem Körper aus. Meine Hände gleiten unter ihr Unterhemd und finden blind ihren Weg.
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