Zwoelf Schritte
Dann liege ich auf ihr, und sie umschlingt mich mit Armen und Beinen, sodass ich mich sicher und nicht mehr länger einsam fühle. Ich weiß nicht, ob ich aufgrund des langen Alleinseins so leidenschaftlich bin oder weil ich endlich einmal nüchtern bin. In den letzten Jahren war ich immer entweder betrunken oder verkatert, wenn wir uns liebten. Ich nehme ihren Körper auf ganz andere Weise wahr, und jede winzige Bewegung erweckt in mir einen größeren Genuss als je zuvor. Ich drücke sie fest an mich und trage sie ins Bett, wo wir uns lieben. Im Kopf scheint sie vollkommen relaxt zu sein, aber ihr Körper ist angespannt wie eine Violinsaite, die gleich zerreißen wird. Meine Hände vergraben sich in ihrem dunklen, weichen Haar, als sie kommt.
Danach liegt sie ruhig in meinen Armen, ihren warmen Rücken an mich geschmiegt, ich atme den Duft ihres Haares ein, und mir kommt es vor, als ob mein Herz jeden Moment zerspringen müsste vor Glück.
«Ich liebe dich immer noch so sehr, Iðunn», flüstere ich ihr in den Nacken, bereue es aber sogleich, als sie aufspringt und ihre Sachen zusammensucht, die überall auf dem Boden verstreut liegen. «Was ist los?», frage ich sie immer wieder und folge ihr ratlos durch die Wohnung, sie antwortet nicht. Es ist, als ob sie wütend wäre, doch ich weiß nicht, ob sie wütend auf mich ist oder enttäuscht über sich selbst.
«Das war ein Fehler, Magni», sagt sie schließlich, während sie mir, mit einer Hand auf der Türklinke, einen Blick zuwirft. Dann ist sie weg. Die Einsamkeit übermannt mich, wie wenn in meinem Inneren ein Damm gebrochen wäre, und ich verspüre eine große Leere in mir, als hätte mir jemand das Herz aus der Brust gerissen. Immer muss ich mein verdammtes Maul aufreißen und alles überstürzen. Zum Teufel noch mal, verfluchte Iðunn, mich anzumachen, meinen Schwanz unbedingt zu wollen und dann gleich auszuflippen, wenn ich sage, dass ich sie liebe. Ich bin froh, dass ich keinen Alkohol im Haus habe.
Am Sonntagmorgen erwache ich nach unruhigem Schlaf, und einen Augenblick lang fühle ich mich wohl, doch schon einen Atemzug später erinnere ich mich an den gestrigen Abend, und ein Unbehagen sickert in mein Bewusstsein. Ich sende Iðunn eine SMS , bevor ich aufstehe. Ich schreibe ihr, dass es mir leidtut, wie wir uns gestern verabschiedet haben, und frage, ob wir nicht allem etwas Gutes abgewinnen können. Weil keine Antwort kommt, stehe ich auf und koche Kaffee. Im Moment bin ich nicht in Stimmung für ein aufbauendes und gesundes Frühstück. Ich habe keine Lust zu duschen, also spritze ich mir lediglich etwas Wasser ins Gesicht, schlüpfe in meine Kleider und beschließe, so schnell wie möglich etwas zu unternehmen, anstatt hier drinnen Trübsal zu blasen und auf Iðunns Anruf zu warten.
Als ich nach draußen komme, hat der Wind nach Nordost gedreht, und es ist deutlich kühler geworden. Es ist, als ob der Nordwind in Reykjavík immer klarere Luft mit sich bringt, und man kann den Duft des eisüberzogenen Hochlandes in dem beißend kalten Nordostwind förmlich riechen. Ich bin froh, dass mir nicht Regen meine Pläne vermiest. Ich gehe über den Skólavörðuholt an der Hallgrímskirche vorbei, vor der an diesem kalten Sonntag im Februar seltsamerweise ein voller Bus mit Besuchern steht. Die Leute stellen sich vor dem Ungeheuer auf, um ein Foto von der Fassade zu machen, doch die meisten, die nur einen gewöhnlichen Fotoapparat besitzen, müssen bis in den Skólavörðustígur ausweichen, um den gesamten Turm draufzubekommen. Wie es wohl sein mag, zu verreisen, jetzt wo ich mit der Trinkerei aufgehört habe? Ich wäre gern ein gewöhnlicher Tourist in einem Bus, der Fotos von Kirchen in fremden Städten macht. Die Reisen, die Iðunn und ich zusammen ins Ausland unternommen haben, standen meist in Zusammenhang mit ihrer Weiterbildung bei der Polizei. Tagsüber habe ich meistens im Hotel geschlafen, während sie bei der Arbeit war, und abends sind wir durch die Stadt geschlendert und haben uns in Restaurants und Pubs herumgetrieben. Ich gehe beim Landeskrankenhaus über die Hringbraut und folge dem Spazierweg bis zum Fuß des Öskjuhlíð-Hügels. An den alten Warmwasserrohren entlang steige ich den Hang hinauf, und mir wird plötzlich bewusst, dass dieser Ort sich unmöglich für das Schwulen-Cruising eignet, da man hier nicht mit dem Auto hinkommt. Also gehe ich am Fuße des Hügels am Flughafen entlang in Richtung der Bucht Nauthólsvík,
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