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Zwoelf Schritte

Zwoelf Schritte

Titel: Zwoelf Schritte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lilja Sigurdardóttir
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Entsetzen ins Gesicht geschrieben, und diesmal muss ich ihnen recht geben, dass dies keine gute Idee ist.
    «Das wäre furchtbar für trockene Alkoholiker. Die würden sich nicht mehr zu den Meetings trauen, aus Furcht, Opfer eines Serienmörders zu werden …», beginne ich vorsichtig.
    «Und außerdem haben wir gar nicht die Kapazitäten, um all die Informationen, die vermutlich auf uns einströmen würden, aufzunehmen, zu sichten und ihnen nachzugehen», ergänzt Njörður.
    «Und würden wir dann nicht dem Mörder genau die Aufmerksamkeit schenken, die er will?», fragt Iðunn abschließend. Megan denkt kauend nach und sagt dann:
    «Okay, okay. Es ist vielleicht noch zu früh.»
    Iðunn verteilt die Aufgaben unter den Anwesenden, Verhöre, Hintergrundrecherchen, Zusammenstellung der diversen Laborberichte, Pressekontakt. Schließlich weist sie mir meinen Part zu:
    «Magni, du besuchst weiterhin die Meetings und hörst dich um.» Ich fühle mich erneut ausgeschlossen, aber Megan rettet mich vor der Schmach der Zurückweisung.
    «Besorg mir einen Spezialisten, Magni», sagt sie, «jemanden, der sich mit der Ideologie der Anonymen Alkoholikern gut auskennt und mit der Bedeutung des Glaubens für die Organisation.» Auf dem Weg nach Hause gehe ich im Geiste durch, wer dafür in Frage käme, und mir fällt niemand anderes ein außer Geir, auch wenn es mir leidtut, ihm noch mehr Arbeit aufzuladen. Mir ist ganz schwindlig von dem vielen Zucker- und Koffeinkonsum, sodass ich mich aufs Sofa lege, aber ich kann mich weder entspannen noch schlafen. Mein Herz klopft schnell, und die Fotos der Leichen wirbeln durch meinen Kopf, jede ein Rätsel, und obwohl ich sie genau vor mir sehe, erfassen meine Augen nicht das Muster, das sie miteinander verbindet.
     
    Als ich vom Nachmittagsmeeting der gläubigen Gruppe komme, stelle ich fest, dass ich kein Wort mitgekriegt habe. So ähnlich, wie wenn man versucht zu lesen, mit den Gedanken aber ganz woanders ist und nach einer Weile feststellt, dass die Augen zwar zuverlässig Zeile für Zeile abgetastet haben, vom Inhalt aber nichts zu einem durchgedrungen ist. Von daher war das Meeting nutzlos für meine Heilung, aber immerhin schafften es die Augen, den Saal nach einem Mörder oder etwas Verdächtigem abzuscannen. Ich habe mich selbst mit der Mördersuche schon so aufgestachelt, dass ich es unangenehm finde, außerhalb des Meetings der Gruppe den Rücken zuzuwenden, als ob ich erwarten würde, dass einer hinter mir herkommt und mich von hinten ersticht. An der Ecke von Hverfisgata und Klapperstígur begegne ich Fríða. Sie trägt einen karierten Wintermantel mit einem großen, farbenfreudigen Schal um den Hals und strahlt eine Munterkeit aus, die die graue Umgebung der Hverfisgata aufhellt.
    «Kommst du gerade vom Meeting?», fragt sie.
    «Ja», antworte ich und lasse unerwähnt, dass ich genauso gut woanders hätte gewesen sein können. «Bist du auf dem Weg zum Meeting?»
    «Das war der Plan», erwidert sie, «aber eigentlich nur, weil ich nichts Besonderes zu tun habe. Sollen wir nicht einen Kaffee trinken gehen?» Ich willige ein, und wir gehen an einigen Cafés vorbei, die entweder voll, zu alkohollastig oder gähnend leer sind.
    «Hier ist das beste Café», sagt Fríða auf einmal und bleibt vor ihrer eigenen Haustür stehen. Ich habe schon gemerkt, dass wir uns in diese Richtung bewegen, und lächele nur.
    «Ich mache einen affengeilen Cappuccino.»
    «Das hört sich gut an», antworte ich. Als wir oben auf der Treppe angelangt sind, denke ich längst nicht mehr an Kaffee. Ich betrachte sie von hinten, während sie Bohnen mahlt und in die Kaffeemaschine gibt, und lege dann meine Hände auf ihre Schultern und massiere sie. Ihre Küsse sind weich, und es ist ein Genuss, den Mund auf ihre breiten Lippen zu drücken und sich in ihren Duft fallen zu lassen. Ich schiebe alle Gedanken an Iðunn von mir weg, die ungebeten mit einem erstaunlich schmerzhaften Stich in der Brust auftauchen, und ergebe mich der entfesselnden Gier meines Körpers. Nachdem wir uns eher flüchtig geliebt haben, liegen wir da und schauen ins Gebälk ihren kleinen Dachwohnung. Die Holzverkleidung ist minzgrün gestrichen, und an Nylonfäden über dem Bett hängen große Glasperlen. Sie verwandeln das Licht der Wandlampe in bunte Lichtpunkte, die langsam über die Wände und den Fußboden schweben.
    «Ich glaube, das war ein Fehler», sagt Fríða in die Stille hinein.
    «So fühle ich mich aber nicht»,

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