Zwoelf Schritte
würde etwas sagen. Im Fernseher wiederholt sich ständig der Anfangstrailer einer Porno- DVD , knappe Präsentationen des Inhalts huschen über den Bildschirm, während die Musik immer wieder von vorne anfängt. Hüpfende runde Riesenbrüste, wackelnde pralle Hinterteile und kurze Zusammenschnitte engagierter Kopulationen füllen abwechselnd den Bildschirm aus.
«Okay, bitte wieder Licht!», ruft Megan plötzlich. Mein Herz setzt einen Moment aus, und Adrenalin schießt mir ins Blut. Am liebsten würde ich ihr Vorwürfe wegen der Respektlosigkeit gegenüber dem toten Mann machen. Die meisten sehen sich im Angesicht des Todes doch selbstverständlich dazu angehalten, leise zu sein, als ob man die Seele beim Verlassen des toten Körpers nicht stören will. Ich reiße mich jedoch zusammen und warte unbeweglich mit Iðunn und Megan, bis zwei Polizisten die Scheinwerfer wieder angeschaltet haben. Als die gleißende Helligkeit das Wohnzimmer ausleuchtet, sehe ich das Gesicht des Opfers. Ich drehe mich auf dem Absatz um, laufe in den Garten hinaus, lehne mich an den Zaun zum Nachbargrundstück und übergebe mich. Kurz darauf spüre ich Iðunns Hand auf meiner Schulter. Sie reicht mir ein Tempo, damit ich mir den Mund und die Tränen abwischen kann.
«Es ist immer ein Schock, wenn man einen ermordeten Menschen sieht», sagt sie behutsam.
«Ich war mit ihm auf den Meetings, Iðunn, ich kenne ihn.»
«Okay, dann haben wir die Bestätigung, dass es sich um ein weiteres AA -Mitglied handelt», sagt sie, und die Müdigkeit in ihrer Stimme zeugt von zunehmender Resignation.
«Er war eine etwas schwierige Person», sage ich, während wir zurückgehen, «und ich habe ihn mehr als einmal zum Teufel gewünscht.»
«Das haben offensichtlich andere auch getan», sagt Iðunn und zieht mich geradezu in die Wohnung zurück.
«Wenn wir das Gesamtbild betrachten», sagt Megan, als wir hereinkommen, «hat man zuerst den Eindruck, als sei er hier aus reinem Zufall unter alltäglichen Umständen gestorben.» Ich versuche, mir einen Gesamteindruck zu verschaffen, ohne die Leiche anzuschauen. Ich bereue es zutiefst, dass ich so erbost war, als er mir meinen Platz wegnahm. Ich spüre ein seltsames Brennen im Magen, schlucke Speichel, damit die Schmerzen aufhören, und bete im Geist den siebenten Schritt herunter:
«Demütig baten wir Ihn, unsere Mängel von uns zu nehmen.»
Hätte ich nur den Glauben und könnte darum bitten, dass ich von meinen Mängeln befreit werde, besonders weil ich mich so geärgert habe, dass mir jemand meinen Sitzplatz weggenommen hat. Der Couchtisch vor der Leiche ist übersät mit Müll, in dem Megan vorsichtig mit Gummihandschuhen wühlt. «Weil wir die Handschrift unseres Mannes kennen, betrachten wir alles mit kritischem Blick und kommen zu dem Schluss, dass es wie bei den anderen Morden eine Inszenierung ist.»
«Leg los», sagt Iðunn und zieht ihr kleines Notizbuch und den Stift heraus.
«Erstens ist der Tisch unter dem ganzen Müll sauber, was mysteriös ist, denn wenn sich das alles über einen gewissen Zeitraum angesammelt hätte, wäre der Tisch wahrscheinlich staubig oder zumindest voller Krümel wie das Sofa. Zweitens: Wer stellt Familienfotos vor sich auf, wenn er im Begriff ist, einen Porno anzuschauen?» Megan lenkt unsere Aufmerksamkeit auf einige kleine Bilderrahmen mit einem älteren Ehepaar und drei Kindern verschiedenen Alters. Auf einem Bild ist ein fröhlicher, etwa zehnjähriger Junge auf seinem Fahrrad, das zweite ist offensichtlich das Konfirmationsfoto eines blonden Mädchens, und auf dem letzten Bild lächelt ein Säugling im Strampelanzug. «Mit diesen Pizzakartons hier auf dem Tisch hätte er nicht den Fernseher sehen können.» Megan geht hinter dem Sofa in die Knie, wobei sie ihren Kopf fast auf die Schulter des Toten legt. «Und dann die Rechnungen», fügt sie hinzu und nimmt einen Stapel Rechnungen vom Tisch. «Diese Rechnungen sind alle unbezahlt, und vorne an der Tür sind weitere Rechnungen. Er hat offensichtlich die Post immer gesammelt. Ich vermute, dass der Mörder überfällige Rechnungen aus dem Posthaufen herausgefischt und sie auf dem Tisch platziert hat, um auf die Schlamperwirtschaft unseres Freundes hier aufmerksam zu machen», sagt sie und klopft ihm freundschaftlich auf die Schulter.
«Kann es sein, dass der Mörder seine Verachtung gegenüber den Toten zum Ausdruck bringt, indem er ihre Fehler unterstreicht?», sage ich und erzähle, dass er meines Wissens
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