Zwölf um ein Bett
»Ich habe noch niemals solchen Unsinn gehört.«
Sie erledigte die letzten kleinen Arbeiten für Oliver, schüttelte sein Kopfkissen auf, glättete seine Daunendecke, gab dem Deckel der Thermosflasche noch einen Extradreh und hielt ihre Hand in das offene Fenster, um festzustellen, wie die Luft war, die auf ihn herunterströmte. Als sie gegangen war, kam sie nach fünf Minuten wieder unter dem Vorwand, ihm ein Buch zurückzubringen, das er ihr geliehen hatte.
»Und selbstverständlich«, fuhr sie fort, als ob sie den Gegenstand nie verlassen hätten, »würde sie sich dadurch nicht beeinflussen lassen. Sie wäre ebenso schnell bereit, ihre Kirche wieder aufzugeben, wie sie eingetreten ist. Ich wünschte, du hättest mir das nicht erzählt — nein, doch nicht; ich möchte wissen, was die Menschen denken. Aber wie könnte sie denn? Diese reizenden Kinder und John, der ihr so ergeben ist..., sie würde ihr Leben ruinieren. Und meins dazu, glaube ich.«
»Ich dachte, du wärst eine Amerikanerin«, sagte Oliver boshaft. »Du solltest doch über eine Scheidung nicht so aufgebracht sein.«
»Du bist ein Schaf, Liebling. Du solltest es besser wissen, als dumme abgedroschene Bemerkungen über mein Heimatland zu machen. In den alten Städten wie Philadelphia und Boston und Virginia ist die Ehe eine heiligere Sache als hier in England.«
»Weniger heilig könnte sie kaum sein.« Die kichernde Stimme von der Tür her ließ sie beide auffahren. Im Schatten jenseits des Lichtkreises von Olivers Lampe flimmerte eine kleine, weiße Gestalt, die geräuschlos näher kam, wie Elisabeth Bergner als Lady Macbeth.
»Muffet!« sagte Mrs. North. »Was in aller Welt machst du hier mitten in der Nacht? Du bist schon vor Stunden schlafen gegangen.«
»Ich konnte nicht schlafen, und da dachte ich, ich gehe einmal ‘runter und suche mir ein Biskuit. Ich esse Bikkies so gern.« Wie ein Kind in einem glatten, weißen Nachthemd, einer kleinen Jacke mit einem Bubikragen und unendlich kleinen Hauspantöffelchen, paßte sie ihre Redeweise ihrer Erscheinung an. »Ich hörte euch sprechen«, sagte sie flehend, »und ich war so verlassen, ganz allein oben in dem großen Zimmer. Ihr nehmt mir doch nicht übel, daß ich hereingekommen bin, nicht wahr?«
»Wir finden es reizend«, sagte Oliver und überlegte, wieviel sie wohl gehört haben konnte, während sie an der Tür gelauscht hatte.
»Wißt ihr«, sagte Lady Sandys vertraulich, »unter meinem Bett lebt eine Schlange, und manchmal kriecht sie in die Ecken und schaut mich an. Dann ist da dieser Waschschrank. Ich habe mich gesichert und die Tür ganz fest zugeschlossen, damit der Affe nicht heraus kann. Manchmal, wenn alle Lichter aus sind, höre ich ihn am Schloß rütteln.«
Olivers Mutter sah ihn voller Entsetzen an. Sie hatte immer gewußt, daß dies einmal passieren würde. Sie hatte gewußt, Lady Sandys würde eines Tages überschnappen, aber wenn es passierte, dann nicht ausgerechnet in ihrem Hause.
Oliver räusperte sich. »Äh — was denn für eine Schlange?« fragte er matt.
»Ach, die übliche gefleckte«, sagte Muffet vage und fegte das Thema mit einer Handbewegung weg. »Wir wollen weiter über Ehen reden. Das ist eine Sache, über die ich mich die ganze Nacht unterhalten könnte.«
Mrs. North gewann wieder die Kontrolle über sich und die Situation und legte eine Hand auf Muffets losen, weißen Ärmel. »Meinst du nicht, daß wir besser schlafen gehen sollten, Liebe?« sagte sie überredend. »Es ist schon sehr spät, und du willst doch morgen früh den ersten Bus nach Shrewsbury erreichen, erinnerst du dich? Falls du nicht lieber im Bett bleiben willst, wenn du dich diese Nacht nicht gut fühlst. Wie wäre denn das? Ich werde dir ziemlich spät das Frühstück hinaufbringen, und du sollst alle Zeitungen haben und mein elektrisches Heizkissen, und du brauchst den ganzen Tag nicht aufzustehen, wenn du magst.« Gerade so hatte sie zu Oliver gesprochen, wenn er als kleiner Junge nicht auf dem Posten war.
Lady Sandys schüttelte den Kopf und glättete den Ärmel mit einer zarten, kleinen Bewegung ihrer Finger. »Wer sagt denn, daß ich mich nicht gut fühle?« fragte sie. »Natürlich gehe ich nach Shrewsbury; ich habe dir doch versprochen, Einkäufe für dich zu machen, nicht wahr? Nun nimm mir nicht auch noch das.« Sie tat wieder kindisch. »Ich war so begeistert davon, daß es schließlich doch noch etwas gibt, womit ich dir helfen kann.«
»Natürlich, sollst du auch,
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