Zwölf um ein Bett
rann ihm das Gesicht herunter, und er fühlte, wie er in seine Pyjamajacke tropfte. Wahrscheinlich sah er gespenstisch genug aus, um dem Mann einen Schock einzujagen.
»Hände hoch!« wollte er rufen und erwischte ein Stück Möbel — den Sitz eines Stuhles oder dergleichen — , worauf er den Revolver stützen konnte. Falls sie die Zimmereinrichtung nicht umgeräumt hatten, stand direkt an der Tür ein Sessel. Wenn er sich auf dessen Lehne stützte, Konnte er den Mann so lange in Schach halten, bis die Gesellschaft zurückkam. Es konnte jetzt nicht mehr lange dauern. Es kam ihm vor, als ob Jahre vergangen seien. Es wäre besser, sie kämen bald, weil er es sehr viel länger nicht mehr aushalten könnte. Ich wette, meine Lippen sind marineblau, dachte er mit Genugtuung. Endlich war er an der Wohnzimmertür. Er hörte ein Krachen auf der anderen Seite. Gut, er konnte so ungefähr ausmachen, wo sich der Mann befand — drüben beim Fenster, wahrscheinlich am Tisch seiner Mutter. Viel würde er da nicht finden, außer sauber zusammengepackten Quittungen, einem Bündel mit sämtlichen Briefen Olivers aus der Soldatenzeit, allen Fotografien, die jemals von einem der Familie gemacht worden waren, weil sie eine heimliche Angst hatte, daß Menschen sterben könnten, wenn man ihre Fotos wegwürfe. Nun, eher könnte er hierbei sterben, nach all der vielen Mühe, die er sich nach seiner Verwundung gegeben hatte, am Leben zu bleiben. Weiß Gott, er fühlte sich danach.
Er griff nicht um die Tür, damit der Mann nicht schon vor seinem Erscheinen gewarnt wurde. Er drückte sie mit der Schulter auf wie ein Hund, kroch um die Ecke, sah den Sessel, stürzte vor, verfehlte ihn und fiel mit einem schwachen Krächzen, das niemand für ein »Hände hoch« gehalten hätte, auf sein Gesicht.
Elisabeth, die sich an einer der kalten Platten auf den weißgedeckten Tischchen zu schaffen machte, fuhr herum mit offenem Mund und die Augenbrauen bis zum Haar hochgezogen. Er sah sie, kurz, ehe er mit dem Gesicht auf den Boden schlug.
Nun, da er lag, fühlte er sich wesentlich besser. Er lag und schöpfte Atem, mit dem Gesicht zur Seite, so daß er sie angrinsen konnte. Es war so verdammt komisch. Seine Brust schütterte, für ein lautes Lachen war er noch zu schwach.
»Ich dachte, Sie wären ein... Ich dachte, Sie wären ein...«
»Versuchen Sie doch nicht zu sprechen«, sagte sie und kniete in ihrem faltigen kornblumenblauen Leinenkleid neben ihm nieder. »Bleiben Sie liegen, und ruhen Sie sich aus. Es ist ja alles gut; ich werde Ihnen ins Bett helfen.«
»Ich möchte gar nicht ins Bett.« Er wußte nicht zu sagen, ob es hysterische Tränen waren oder Schweiß, was sein Gesicht hinunter rann. »Stützen Sie mich gegen den Sessel da, damit ich lachen kann.« Es hatte ihn immer überrascht, daß sie so viel stärker war, als sie aussah. Jetzt war sie sehr stark. Er war ein schlapp herabhängendes Gewicht, aber sie zog und drehte ihn, bis er wie eine Puppe seitlich gegen den Sessel gelehnt saß, mit dem Kinn auf seiner schweratmenden Brust, sein Bein hatte er vor sich ausgestreckt, und sein Stumpf war glücklich auf dem Boden zur Ruhe gekommen.
»Und jetzt«, sagte sie und hockte sich neben ihm auf die Knie, »erzählen Sie mir einmal, was in aller Welt Sie hier gespielt haben. Und wozu der Revolver?« Er richtete seinen Blick nach oben, ohne sein Kinn zu heben, und sah, daß sie blaß war und ihre Hände leicht zitterten, als sie den Revolver aufhob. Er hatte ihr einen Schrecken eingejagt. Geschah ihr recht, wenn sie ihn so allein ließ. Aber seit einer halben Minute war sie ja bei ihm. »Was spielen Sie hier«, sagte er, »ich denke, Sie sind in der Kirche? Sie haben mir die größte Angst meines Lebens eingejagt. Verdammt leichtsinnig.«
»Ich kam mit dem Wagen zurück, der Violet hinbrachte. Niemand weiß es. Ich ging nicht mit den anderen in die Kirche hinein und schlüpfte durch die Hintertür ins Haus, ehe John und Violet herauskamen. Ich wollte Sie nicht allein lassen, und ich sehe jetzt, daß es richtig war. Ich hätte mir denken können, daß Sie wegen irgendeiner verrückten Laune aufstehen würden.«
»Verdammt verrückte Laune. Ich dachte, ich wäre ein Held, der das Familiensilber rettet. Warum in aller Welt haben Sie mir nicht gesagt, daß Sie zurückgekommen waren, anstatt hier herumzuschleichen?«
»Ich dachte, es wäre eine gute Nervenprobe für Sie, wenn Sie glaubten, allein zu sein.«
»Sie hatten sich das
Weitere Kostenlose Bücher