Zwölf um ein Bett
hören, daß Mrs. North und Oliver sich beide umwandten und sie anstarrten, wie sie da in einem blauweiß gepünktelten Morgenrock über einem blaßblauen Pyjama in der Tür stand.
»Nun, so fangen Sie nicht auch noch an«, sagte Mrs. North. »Wir haben uns in der ganzen letzten Stunde gegenseitig immer wieder versichert, sie kann nicht reisen; dabei wissen wir doch die ganze Zeit, daß wir nichts daran ändern können. Ich gehe jetzt zu Bett und nehme ein Schlafmittel. Wissen Sie, Elisabeth, ich habe seit dem 10. September 1944 kein Schlafmittel angerührt — damals bekam ich das Telegramm von dir, Ollie — , aber meine Nerven haben in den letzten 10 Monaten mehr Schocks aushalten müssen, als in meinem ganzen übrigen Leben. Was war das für ein Jahr, Ollie! Alles, was in unserer Familie überhaupt passieren konnte, ist passiert, aber auch alles. Wie geht es Evie?«
»Schläft jetzt.« Elisabeth hatte noch immer diese entschlossenen Augen in einem ruhigen Gesicht. »Sie setzte sich noch eben, als ich hineinging, in ihrem Bett auf, klammerte sich an mich, als ob sie ertränke, und schrie, daß sie nicht fahren wolle. Natürlich war sie mehr oder weniger im Schlaf, aber das zeigt doch, was in ihrem Kopf Vorgehen muß. All die furchtbaren Sachen, die sie ihrem Vater gesagt hat, als er ihr gute Nacht sagen wollte; und er war so albern und schrie sie an — Verzeihung, Mrs. North; ich glaube, ich sollte nicht so über Ihren Bruder reden.«
»Reden Sie nur weiter.« Sie spreizte resigniert ihre Hand. »Oliver hat ihn bereits eine Stunde lang schlechtgemacht.«
»Er taugt nicht dazu, ein Kind zu haben«, wiederholte Oliver, der anscheinend zu nichts anderem mehr fähig war, als mit einer Art Grammophonbegleitung zur Unterhaltung beizutragen.
»Morgen wird es noch schlimmer für sie sein«, sagte Elisabeth. »Wie können Sie sie in dies Leben schicken? Sie können sie nicht gehen lassen.«
»Aber wirklich, Elisabeth«, sagte Mrs. North mit dem kühlen Ton, der einem schlechten Gewissen entsprang. »Ich glaube, das ist kaum Ihre Sache.«
»Das ist meine Sache«, sagte Elisabeth bestimmt und schloß die Tür. »Darum bin ich heruntergekommen. Ich wollte Ihnen etwas erzählen.«
»Ich möchte nichts mehr über Evies Reise nach New York hören«, erklärte Mrs. North. »Es steht fest, daß sie geht, darum besteht gar keine Notwendigkeit, daß jemand so dramatisch deswegen wird. Wirklich, so wie ihr die Sache anseht, müßte man glauben, kein Kind habe schon mit einer Stiefmutter leben müssen.«
»O ja, es gibt Menschen, die eine Stiefmutter gehabt haben«, sagte Elisabeth bitter. »Ich wollte nicht über Evie reden, ich will über mich reden. Ich wollte es Ihnen eigentlich nicht erzählen. Niemandem wollte ich es erzählen — niemals; aber wenn ich es Ihnen erzähle, werden Ihnen vielleicht die Augen geöffnet, und Sie werden etwas dagegen tun. Sie können doch die meisten Menschen dazu bewegen, das zu tun, was Sie wollen, Mrs. North, darum können Sie auch Ihren Bruder beeinflussen.«
»Reden Sie nicht so«, sagte Mrs. North. »Ich bin zu müde, um auf Schmeicheleien einzugehen. Was wollen Sie mir erzählen? Was es auch sei, machen Sie es kurz, weil ich ins Bett gehen will. Ob Sie es glauben oder nicht, aber ich habe jetzt genug.«
»Ich wollte es niemandem erzählen«, wiederholte Elisabeth. Sie setzte sich auf den Fußschemel nieder, kreuzte sorgfältig ihre Beine, legte ihren Morgenrock über ihren Knien zurecht, verschränkte die Hände darüber, lehnte sich zurück und starrte vor sich hin. »Wenn einem Menschen etwas so Vernichtendes geschieht, spricht er nicht darüber, weil es sein tiefstes Wesen angeht. Die Dinge, die man erzählt, gehen in Wirklichkeit nicht sehr tief, und man gibt nur vor, es seien die innersten Gefühle.«
Mrs. North sah Oliver an und zog ihre Augenbrauen hoch. Noch nie hatte Elisabeth von sich gesprochen.
»Ich hoffe, Sie haben nichts dagegen, wenn ich von mir erzähle«, fuhr Elisabeth mit einer Nachgiebigkeit fort, die der Gewohnheit entsprang, denn sie war fest entschlossen, von sich zu sprechen, ob die anderen etwas dagegen hatten oder nicht. »Es wird nicht lange dauern. Ich nehme an, es ist eine ganz gewöhnliche Geschichte. Sie muß wohl vielen Menschen geschehen sein, und doch ist das kein Grund, daß sie wieder einem Menschen geschehen soll — Evie meine ich.«
»Ich glaube, Sie wissen, daß meine Mutter starb, als ich noch sehr klein war — zwölfeinhalb; um genau zu
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