Zwölf um ein Bett
North.
»Tante Hattie, ich kann nicht!« jammert sie. »Fred sagt, ich könnte melken. Er sagt, ich könnte Bonny und Alice und Sirene melken — Sirene ist schwierig, aber er sagte, ich könnte es probieren.«
»Hör auf damit«, befahl ihre Tante, »und geh und nimm das Terpentin. Ich habe dein rotes Kleid gebügelt. Du kannst es heute nachmittag anziehen. Du ziehst es am besten gleich nach dem Lunch an und gehst dann nicht mehr ‘raus, oder ich lass’ dich überhaupt nicht wieder ‘rein.« Evelyn stieß mit dem Fuß gegen einen Stuhl. »Laß das«, sagte Mrs. North, »das gehört sich nicht. Du könntest langsam lernen, dich wie eine Dame zu benehmen. Was sollen sie sonst in New York von dir denken?«
»Geh ich nicht hin«, gab Evelyn trotzig zurück. »Daddy will eine Farm kaufen. Er schrieb das in seinem letzten Brief.«
»Ich würde nicht so fest damit rechnen, Liebling. Erwachsene machen manchmal Versprechungen, die sie nicht halten.«
»Daddy nicht«, erwiderte Evelyn überzeugt. »Er will eine Ranch kaufen, und ich soll ein Pferd bekommen und ein Rad mit drei Gängen und ein Zuchtkalb für meine eigene Zucht und ein Paar >chaps<; ich denke, das sind so eine Art Cowboyhosen«, erzählte sie Oliver.
»Ach, lieber Gott«, seufzte Mrs. North, als Evelyn gegangen war, »ich hoffe wirklich, Bob macht ihr nichts vor, aber ich glaube, er meint es nicht im Ernst. Ich bin sicher, er hat niemals anderswo als in der Stadt gelebt. Wir müssen Evelyn ein bißchen herausputzen, ehe er kommt. Sie ist zu viel mit Vi zusammen.«
»Ich würde mir keinen Kummer darum machen«, sagte Oliver, »sie wird ihm schon gefallen.«
»Ich mache mir keinen Kummer um Evie«, sagte seine Mutter, »Kummer mache ich mir um Vi. Ich weiß nicht, was in sie gefahren ist. Es paßt so gar nicht zu ihr, daß sie von einem Schnupfen überhaupt Notiz nimmt; aber sie lungert den ganzen Vormittag im Hause herum und schnauft sich die Nase in dies riesige Khaki-Taschentuch, das du ihr gegeben hast. Hoffentlich entwickelt sich da nicht eine ernsthafte Krankheit. Du könntest dich anstecken.«
Oliver lachte. »Der guten Vi würde das nicht viel helfen, nehme ich an.«
»Ach, die wird es schaffen. Sie ist so kräftig wie ein Ochse; sie hat immer alles überstanden. Sieh mal, Liebling, ich möchte gern, daß du heute mit der Suppe anfängst, und dann habe ich eine Flasche Starkbier aufgemacht. Du kannst es ruhig einmal probieren, es kann dir nichts schaden und stärkt deine Widerstandskraft, gerade jetzt.«
»Wie kommt denn das?« fragte Cowlin, der mit einem Eimer voll Holzscheiten an jedem Arm hereinhumpelte, »daß Miß Violet heute nicht ‘runter zur Farm gegangen ist? Hab’ sie eben in der Halle gesehen, und da hab’ ich gedacht, werd’ mal hören, was sie so erzählt und... ha!« Er hatte die Gewohnheit, seine Sätze durch ein abgehacktes, zahnloses Lachen zu unterbrechen. »Hat sie mir doch beinahe den Kopf abgebissen!«
»Sie hat Schnupfen«, sagte Oliver geduldig, »sie fühlt sich nicht gut!«
»Ha! Wenn Sie mich fragen würden, würde ich sagen, sie und Mr. Williams haben Krach gehabt.« Er stellte die Eimer hin, bückte sich und legte sorgfältig die Holzscheite Stück für Stück in den Korb am Kamin. Seine Breeches hatten eine ungeheuer bauschige Sitzfläche, und seine spindeldürren Beine in Ledergamaschen steckten in riesigen Stiefeln. »Was ist los?« brüllte Oliver. Cowlin war seit Jahren taub. Eigentlich war keiner seiner fünf Sinne intakt, denn ein Auge hatte er im letzten Krieg verloren, an einer Hand waren vier Finger gefühllos, und infolge einer nicht behandelten Stirnhöhlenvereiterung konnte er außer sehr scharf gewürzten Gerichten nichts schmecken. Mrs. North ließ sich nur sehr selten von seiner Frau beim Kochen helfen, weil sie unter einer Prise Salz eine Handvoll verstand und statt ein paar Tropfen Essig eine halbe Flasche nahm. Gelegentlich, wenn der Wind gut stand, konnte Cowlin den Geruch von faulenden Kohlstrünken wahrnehmen, aber er konnte nicht den Duft all der Blumen riechen, die er so hübsch pflanzte, noch konnte er sie genau sehen, denn sein einziges Auge war farbenblind. Nachdem er nun sechzig Jahre lang alle diese Gebrechen durchgestanden hatte, sah er einem hohen Alter entgegen, das ihm nicht viel weitere Leiden bescheren konnte, denn halb verkrüppelt war er auch schon durch seinen Rheumatismus.
Man konnte sich ihm manchmal dadurch verständlich machen, daß man den gleichen
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