Zwölf um ein Bett
Geschichten erzählen. Wuuuhuuu!« Sie warf ihren Kopf schwerfällig nach hinten mit einer scheußlichen Nachahmung des Lieblingsrufes der amerikanischen Soldaten. »Ich möchte, ich hätte einen Schilling für jedes Mal, da ich sie vor dem Richter gerettet habe.«
»Smutty«, kam eine amüsierte Stimme von der Tür her. »Mach, daß du hier ‘rauskommst, und hör auf, den Invaliden mit ermüdenden Geschichten aus unserer Vergangenheit zu langweilen. Sie redet immer über mich«, sagte sie belustigt zu Oliver. »Manchmal lausche ich, wenn sie in ihrem Zimmer Freundinnen zum Tee hat. Sehr unterhaltend.«
»Eines Tages«, sagte Miß Smuts dunkel, »werden Sie etwas zu hören bekommen, das Ihr Trommelfell dröhnen läßt. Das wird Sie lehren, an Schlüssellöchern zu horchen.«
»Wunderlicher, alter Charakter, nicht wahr?«
Miß Smuts schnaufte, indem sie ihre hängende Unterlippe über ihren Schnurrbart schob.
»Geh und bügle mein Nachthemd auf, Smutty, sei lieb. Es ist total verknudelt, weil ich eine solch schlaflose Nacht gehabt habe bei dem Gedanken an den armen Postboten, der all diese Hügel mit seinem Rad hinauf- und herunterfahren muß, und du weißt doch, wie gern ich es habe, soignée im Bett zu sein.« Sie zwinkerte Oliver zu. Er war immer wieder erstaunt, daß nichts Überspanntes ihrer Unterhaltung anhaftete, wenn sie auch oft von jener Sprunghaftigkeit war, die alte Damen so entsetzlich geziert erscheinen ließ. Aber bei ihr war es keine Effekthascherei. Ihre Reden und ihre Art, sich zu geben, sprudelten so natürlich wie Wasser aus einem Gebirgsquell.
Elisabeth kam mit Olivers Tee herein. Auch sie schien Lady Sandys gern zu haben. Es war eins der wenigen Dinge , die sie und Oliver gemein hatten, und sie unterhielten sich mit Vergnügen über sie, was Elisabeth jedoch nicht immun gegen Lady Sandys’ Eigenart machte. Es fiel Oliver auf, daß sie noch immer nicht wieder ihre Schwesternbrosche trug; sie wartete schon zwei Tage darauf, daß Miß Smuts sie finden würde.
»Da ist deine reizende Schwester«, sagte Lady Sandys, und ihre Augen gingen bewundernd über Elisabeth. »Ich wollte Sie schon immer fragen: Was legen Sie eigentlich auf, meine Liebe, das Ihnen dieses taufrische Aussehen einer Rosenknospe gibt? Es ist ganz entzückend, nicht wahr, Oliver?«
»Nicht schlecht«, sagte er reserviert.
»Nicht viel«, sagte Elisabeth. »Nur die üblichen Krems und Puder und so etwas. Möchten Sie Ihren Tee hier trinken, Lady Sandys?«
»Ich wünschte, Sie würden mich nicht so nennen. Ich wünschte, Sie würden mich Muffet nennen, wie alle anderen. Sie müssen ja, wenn ich Sie erst adoptiert habe. Weißt du, daß ich sie adoptieren will, Ollie? Nicht, solange du sie noch brauchst, natürlich, aber dann habe ich sie für mich und kann die arme alte Smutty pensionieren. Sie gleicht jeden Tag mehr dem Ungeheuer von Loch Ness. Die arme Elisabeth hat mir erzählt, daß sie keine Mutter mehr hat und daß ihr Vater jemanden geheiratet hat, die sie nicht mag. Wußtest du das?«
»Was denn?« sagte Oliver. »Oh — äh — ja.« Er sah Elisabeth scharf an. Lady Sandys hatte eine Art, durch die bloße Saugkraft ihres Interesses alles aus einem herauszubekommen. Sie hatte sicher in den sieben Tagen mehr aus Elisabeth herausgebracht als er in vielen Monaten. Elisabeth sah sehr unbeteiligt aus, ein Zeichen, daß sie verlegen war. »Ach, ich meinte das nicht ernst«, sagte sie. »Ich habe es nur aus Spaß gesagt. Ich werde Ihren Tee holen.«
»Komisches Mädchen«, sagte Lady Sandys und starrte durch die geschlossene Tür, als ob sie Elisabeth nicht nur mit ihren Gedanken, sondern auch mit den Augen verfolgen könnte. »Ich dachte, sie hätte mir das erzählt, aber ich kann es mir auch eingebildet haben. Ich bin manchmal etwas unsicher, weißt du? Warum ist sie so schweigsam und zugeknöpft? Ich bin überzeugt, da steckt etwas dahinter. Sie sollte etwas lebhafter sein in ihrem Alter; sie sollte sich mehr gehenlassen.«
»O nein«, sagte Oliver. »So ist sie eben gebaut, ohne große Begeisterungsfähigkeit oder Leidenschaft. Manche sind eben so. Vielleicht ersparen sie sich damit eine Menge Herzenskummer.«
»Es entgeht ihnen auch vieles«, sagte Muffet. »Aber dies Mädchen ist nicht von Natur so. Sie spielt Theater. Ich weiß das. Ich habe einen guten Instinkt für Menschen, weißt du, vielleicht, weil ich so interessiert an ihnen bin. Du auch, nicht wahr? Es ist mir schon aufgefallen. Darum kränkt es dich
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