Zwölf um ein Bett
hat; aber wenn, dann weiß der liebe Himmel, was das alles für Folgen nach sich zieht. Vielleicht könnten wir sie in ihr Zimmer einsperren? Aber das wäre zu unfreundlich John gegenüber, und sie ist trotz allem eine so reizende Frau, daß sie ein Trumpf der Party sein würde. Lady Spicer war damals an Heathers Hochzeit ganz begeistert von ihr, aber sie hat natürlich nie herausbekommen, was mit ihrer Brille passiert ist.«
Lady Sandys und Miß Smuts kamen in einem gemieteten Auto aus Shrewsbury an, weil sie einen viel späteren Zug genommen hatten, als verabredet war; John mußte deshalb völlig erfolglos den halben Tag am Bahnhof warten. Oliver hörte schrille Stimmen in der Halle. »Aber ich dachte, du würdest uns abholen, Liebling«, rief Johns Mutter; »aber als du nicht kamst, n’importe. Wir haben diesen reizenden Mann entdeckt, und er hat mir alles über seine Schwierigkeiten, genug Benzin zu bekommen, erzählt; ich habe ihm versprochen, deswegen an Harrison zu schreiben. Er ist der Ölkönig, weißt du, und tut alles für mich. Kommen Sie herein, Mr. Steptoe. Ach ja, die Koffer, ich danke Ihnen sehr — Hattie, Liebste, wie geht es dir? Ich habe ihm versprochen, er bekäme eine Tasse Tee; er erzählte mir, daß er den ganzen Tag noch keine Zeit zum Essen gehabt hätte. Ist das nicht fürchterlich?«
Oliver war davon überzeugt, daß Mr. Steptoe um sieben Uhr niemanden gern mit dem Wunsch nach Tee belästigen Wurde, ebensowenig wie niemand ihn gern zu dieser Zeit Aachen würde, und als nach einem: »Und wo ist Oliver? Ich kann es gar nicht erwarten, ihn wiederzusehen, ich habe soviel von ihm gehört, er ist einfach ein Held in meinen Augen«, die Tür aufflog, sah er, wie Mr. Steptoe in der Halle verlegene Protestbewegungen gegen seine Mutter machte.
Lady Sandys war winzig, funkelnd und zerbrechlich, so körperlos wie ein Kolibri. Sie hatte einst ausnehmend gut ausgesehen und tat es eigentlich noch, wenn man nicht zu dicht an sie herantrat und die kleinen Falten sah, die sich wie kleine Krähenfüße über ihr Gesicht zogen, und die Sehnen, die am Halse zu sehr hervortraten; sie war so rührend zierlich wie eine Wachtel auf Toast, die zu schön zum Essen ist. Kein Essen hatte bei ihr die Chance, sie dicker zu machen, weil sie immer in Bewegung war, selbst während der Mahlzeiten. Olivers Mutter, die selten länger als fünf Minuten hintereinander stillsaß, war ein Klotz im Vergleich zu Lady Sandys. Sie trippelte ins Zimmer in einem engen Schneiderkostüm, dessen Rock nicht viel mehr Stoff verbraucht hatte als ein Taschentuch. Ein Puppenhütchen war über ein Auge getupft, während das andere durch einen feinen Schleier, der fest um ihr Grübchen-Kinn gezogen war, zu Oliver hinüberfunkelte. Kaum den Boden berührend, durchquerte sie das Zimmer und streckte ihm beide Hände, die in Handschuhen aus Sämischleder steckten, entgegen.
»Endlich«, sagte sie mit ihrer hohen, klaren und musikalischen Stimme. »Ich habe so viel über dich gehört. Du bist fast wie mein eigener Sohn. Ich habe wirklich nur den ganzen Weg hierher gemacht, weißt du, um dich zu besuchen! Oh, es ist reizend. Ich bin so froh, dich wiederzusehen! Wie geht es dir denn? Du siehst viel besser aus, als man mir erzählt hat. Dies blasse, zerbrechliche Aussehen — es steht dir hoffnungslos gut.« Ihre Hand in der seinen war leicht wie ein Blatt, und als sie ihn auf den Arm klapste, drückte sich noch nicht einmal der Pyjama-Ärmel gegen seine Haut. Oliver war selbst nicht sehr kompakt, aber neben ihr fühlte er sich schwer und plump. Er grinste ihr zu, und plötzlich überfiel ihn die absurde Vorstellung, daß, wenn er seinen Mund öffnete, er ihren ganzen Kopf hineinstecken und mit einem Haps von ihrem zerbrechlich dünnen Hals abbeißen könnte. Überrascht von diesem Einfall kam ihm zum Bewußtsein, daß er ihrer Ähnlichkeit mit einem zierlichen Insekt entsprang. Er empfand das gleiche, was ein kleiner Junge, der einer Fliege die Flügel ausrupfte, erlebte und in dem der Sadist erwachte. Sie schwatzte und funkelte ihn an, und obgleich sie vor Reden überfloß, war es nicht der betäubende Redeschwall von Leuten wie Mrs. Ogilvie, weil nichts forciert war. Die Wärme ihrer Begrüßung war echt. Sie war wirklich erfreut, ihn zu sehen, und auch so an ihm interessiert, wie sie sagte. Er konnte sich gut vorstellen, daß Menschen begeistert von ihr waren. Hinter ihr trat John ins Zimmer, den man auch mit der größten Phantasie
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