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Zwölf Wasser Zu den Anfängen

Zwölf Wasser Zu den Anfängen

Titel: Zwölf Wasser Zu den Anfängen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: E Greiff
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und hatte sich auch von guter Verpflegung nicht beeinflussen lassen. Die Pramer hingegen trauten Gerder alles zu. Insbesondere die Soldaten hatten Respekt vor ihm; das Gerücht ging, er habe mit bloßen Händen und ganz allein fünfzig Mann umgebracht.
    Gerder antwortete mit gesenkter Stimme. Unmöglich, ihnzu verstehen, denn bei Nacht dröhnte es im Sumpfland aus jedem Tümpel.
    »Ich hatte so ein Gefühl«, wiederholte er lauter.
    »Genauer«, sagte Felt.
    »Wie wenn uns einer auf den Fersen wär, war aber nicht.«
    »Seit wann?«
    »Heute früh, Herr Offizier, vor Abmarsch.«
    »Lucher«, sagte Wigo.
    »Wie bitte?«, fragte Felt.
    »Lucher«, wiederholte Wigo und klappte die Kladde zu. »Das sind Lucher, die uns beobachten.«
    »Also hast du es auch bemerkt. Bei so was ist Meldung zu machen!«
    »Jawohl, Herr Offizier«, sagte Wigo. »Wenn der Herr Offizier mich in seine Gespräche einbeziehen würde   – von seinen Überlegungen wollen wir gar nicht reden   –, dann fiele es mir leichter, mich einzubringen.«
    »Wer oder was sind Lucher?«, fragte Felt grimmig.
    »Eine erstaunlich präzise Frage, auf die es logischerweise keine eindeutige Antwort gibt.«
    »Ich warne dich, Wigo.«
    »Schon gut! Aber die Lucher sind eben genau zwischen dem Wer und dem Was. Die Legende sagt   …«
    »Fass dich kurz«, unterbrach Felt. »Gefahr oder nicht?«
    »Das kommt darauf an! Willst du nun zuhören?«
    Felt machte eine Handbewegung, mit der er seine Kapitulation erklärte. Er zog die Beine an und Gerder quetschte sich zu ihnen.
    Wigo schüttelte seine Käfer und begann zu erzählen.
    »Eins vorweg: Ich habe sie nur bemerkt, weil ich nach ihnen Ausschau gehalten habe. Wirklich gesehen habe ich sie aber auch nicht, denn da liegt das Problem. Sie fürchten unsere Blicke, dieBlicke von Menschen, dennoch werden sie von uns angezogen. Sie suchen unsere Nähe, weil wir sie an etwas erinnern. Wir wecken eine Sehnsucht in ihnen. Die Legende sagt   – keine Sorge, ich fasse mich kurz, allerdings ungern, denn es ist eine gute Geschichte   –, also, es heißt, dass unter den ersten Fischern am See einer war, der so wenig von seinem Beruf verstand, dass sein Netz fast immer leer blieb. Die anderen verspotteten ihn und er begann, ihre Gesellschaft zu meiden. Er fuhr allein mit seinem Boot über den See und war voller Groll. Ein Mal nur wollte er einen richtig großen Fang machen, ein Mal es allen zeigen, irgendetwas musste ihm doch ins Netz gehen, egal was. Also warf er sein Netz im Sumpf aus und siehe da, es war voll. Voll mit glitschigen, krabbelnden, zuckenden Viechern. Stolz fuhr er wieder über den See und kippte den Fischern seinen Fang vor die Füße. Großes Gelächter, noch mehr Spott und Hohn. Zutiefst gekränkt verließ der glücklose Fischer das Dorf   – für immer.«
    »Und weiter?«, fragte Gerder, der Wigos Kunstpausen noch nicht kannte.
    »Nun«, sagte Wigo, »dem Fischer blieb nichts anderes übrig, als zum Ort seines größten Triumphes zurückzukehren, der zugleich der Ort seiner größten Niederlage war: in den Sumpf. Hierher. Er war einsam, also redete er mit sich selbst. Und irgendwann glaubte er, in diesem schauerlichen Konzert, diesem Gequake und Gerülpse, eine Stimme zu hören, die ihm antwortete. Er wanderte durch den Nebel, die Dunkelheit, suchte die Stimme, die zu ihm sprach   …«
    »Wolltest du dich nicht kurz fassen?«
    »Ich geb’s auf, Felt, von Spannung, von Atmosphäre, hast du wirklich keine Ahnung. Also: Der Fischer ging eine Verbindung mit einer Kröte ein, sie bekamen viele Kinder und hassten sich bis an ihr Lebensende, weil ihre beiden Völker sich im Ekel von ihnen abgewandt hatten. Ende der Geschichte.«
    »Und diese Lucher sind nun die Kinder von denen?«, fragte Gerder mit einer Mischung aus Faszination und Abscheu.
    Wigo nickte wissend: »Ihre Kinder und Kindeskinder. Sie leben nicht lang, aber dafür vermehren sie sich ordentlich.«
    Gerder stand der Mund offen.
    »Dann ist ja alles klar«, sagte Felt. »Gerder: keine Gefahr, wegtreten. Wigo, du hast die erste Wache.«
    Gerder stand auf, Felt streckte sich aus und schloss die Augen. Wigo seufzte, legte sich das Käfersäckchen auf den Kopf, klappte seine Kladde auf und schrieb weiter.
     
    Felt fuhr hoch. Etwas hatte sich an seinen nackten Füßen festgesaugt. Er riss sich die kurzen schwarzen Würmer von der Haut, zurück blieben kleine, kreisrunde Blutungen. Wigo saß immer noch aufrecht, aber das Lichtsäckchen glomm nur noch

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