Zwölf Wasser Zu den Anfängen
froh.«
»Wie? Wie soll ich froh sein, wenn man meine Pferdestiehlt? Mein Leben lang habe ich von einem Pferd geträumt – und jetzt habe ich welche und sie werden mir gestohlen!«
»Babu, du hast doch ein Pferd! Und du hast ein Zelt. Du bekommst zu essen, du hast ein Hemd und einen Mantel.«
»Ja. Und ich habe dafür bezahlt – habt ihr jemals solche Speere gehabt? Solche Messer? Echter Welsenstahl!«
Sie stützte sich auf die Ellbogen.
»
Wir
.
Wir
hatten nie bessere Speere. Du gehörst zu uns, Babu. Wenn du ein Pferd brauchst, wirst du eins bekommen. Wenn du Hunger hast, wird jemand sein Essen mit dir teilen.«
Und wenn er, Babu, nicht teilen wollte, dann würde er eben bestohlen werden. Er verstand, aber er kam nicht damit zurecht.
Er war erst eine Zehne bei den Nogaiyern. Felt und Reva waren bald nach ihrer Begegnung mit dem Reitervolk weitergezogen. Babu hatte den freien Clan nicht gefunden, sondern der Clan ihn. Er war mit seinen Pferden durchs wellige Grasland gestreift, in der Ferne hatten die Gipfel der Berge geleuchtet und Juhut hatte seine Aufmerksamkeit auf ein Waldstück gelenkt, von dessen Saum sich bald zwei Reiter lösten, ein Mann und eine Frau. Schon von Weitem hatten sie die Hände zum Gruß gehoben und Babus Herz hatte einen Sprung gemacht.
»Das sind sie«, hatte er zu Felt gesagt, der zu ihm aufgeschlossen hatte, »das sind die, die ich gesucht habe.«
Nuru schlug die Augen auf. Hellbraun, wie seine. Rund, wie seine. Dasselbe Erbe in ihnen beiden. Derselbe Ursprung. Sie lächelte.
»Komm, Babu. Wir wecken Timok und dann gehen wir auf die Jagd. Nun komm schon.«
Sie war aufgesprungen, reichte ihm die Hand. Er ließ sichvon ihr hochziehen. Sie war fast so groß wie er. Genau richtig. Sie rannte los, rief: »Wer Erster ist, hat den ersten Schuss!«
Babu lief hinter Nuru her, das Licht der aufsteigenden Sonne sprenkelte den Waldboden, er lief nicht schnell, er wollte sie nicht einholen. Er wollte einfach nur hinter ihr herlaufen.
Auch vor Timoks Zelt lag noch das schmutzige Essgeschirr des Vorabends, nicht weit davon dampften frische Pferdeäpfel. Timoks grauer Falbe war an einer langen Leine angepflockt und kam herangetrottet, als Nuru und Babu sich dem Zelt näherten. Babu strich dem Pferd über die weiche Schnauze, die aussah wie in Mehl getunkt. Die Pferde der Nogaiyer waren etwas kompakter als die, die Babu mitgebracht hatte, aber deutlich größer als die Ponys der Merzer. Und es waren ausnahmslos Falben, Pferde, deren Fell wie in der Sonne ausgeblichen war. Im Gegensatz dazu leuchteten Babus Tiere in klaren Farben. Sie wären leicht wiederzuerkennen. Aber nicht leicht wiederzufinden, denn die Nogaiyer-Horde war riesig. Dem Clan gehörten drei- oder vierhundert Familien an, so genau wusste das niemand. Nuru hatte erzählt, es gäbe noch weitere Clans außer dem ihren, aber sie alle würden sich Nogaiyer nennen, er könne sich jetzt auch Badak-An-Bughar Nogaiyer nennen. Wer hier leben würde, sei Nogaiyer, egal, woher er käme. Wenn er das nicht glauben wolle, könne er ihren Vater, den Nogaiyer Thon, fragen – wenn er ihn finden würde.
Nuru schaute Babu an, legte lächelnd einen Finger auf die Lippen, dann tauchte sie ins Zelt. Ein spitzer Schrei, dann Kreischen, dann zog Nuru ein nacktes Mädchen an den Haaren aus Timoks Zelt. Das Mädchen schlug um sich, Nuru gab ihr einen lauten Klatscher auf den prallen Hintern, sie schrie noch einmal empört auf, lächelte dann aber Babu an und sprang davon.
Jetzt kam auch Timok, sich die Hose zubindend, aus dem Zelt.
»O Bruder, du stinkst!«, begrüßte ihn Nuru.
Timok schnüffelte kurz an sich selbst, dann schüttelte er sich die langen, wirren Haare aus dem Gesicht und grinste seine Schwester an: »Ah! Der Duft der Liebe! Und wie läuft es bei dir?«
Sie schlug ihm auf die nackte Brust und kicherte. Babu kraulte den Falben besonders gründlich zwischen den Ohren.
»Babu ist schlecht gelaunt«, sagte Nuru. »Seine Herde ist wieder kleiner geworden.«
»Na, sei froh«, sagte Timok zu Babu. Nuru legte den Kopf schief und verzog den Mund. »Eine große Herde macht doch nur Arbeit. Was wollt ihr eigentlich? Jagen gehen?«
»Ja«, sagte Nuru, »ich habe den ersten Schuss und du darfst einsammeln.«
Timok stöhnte auf.
»Kann das nicht der Falke machen? Babu, der Falke kommt doch mit? Babu? Was ist mit dir, was hast du?«
Babu hing schwer atmend am Hals des Pferdes, die Finger in die Mähne gekrallt. Tränen
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