Zwölf Wasser Zu den Anfängen
bitte dich.«
»Mag sein, dass sie es sich leisten kann. Ich aber kann mir praktisch nichts leisten. Gefesselt sein jedenfalls nicht.«
»Felt, ich sagte es schon: Ich bin auf deiner Seite. Belendra ist auch auf deiner Seite, sie schützt dich, euch alle, verstehst du? Dass ihr am Uferposten aufgehalten worden seid, hat sie sehr aufgebracht.«
»Nein, Wigo, ich verstehe überhaupt nichts. Wer ist sie? Und wo sind die anderen Gäste? Ich sehe hier nur nackte Knaben.«
»Nackte stumme Knaben«, sagte Wigo und machte mit seinen gebundenen Händen eine Geste hin zu einer Flügeltür, die sich wie von selbst öffnete. »Belendra ist die Ehefrau von Kandor«, fuhr er im Gehen fort, »der es aber vorzieht, mit seinen beiden jungen Nichten zusammenzuwohnen. Es ist nicht ratsam, seinen Namen in ihrer Gegenwart zu erwähnen. Es sei denn, sie erwähnt ihn selbst – und das wird sie früher oder später. Andere Gäste siehst du keine, weil wir die einzigen sind. Ich sagte doch: kleiner Kreis.«
Felt sah auf den ersten Blick, dass Belendra weißglanzsüchtig war. Ihre dunklen Haare, die sie gescheitelt und in drei dicken Knoten hochgedreht trug, glänzten wie mit Öl bepinselt. Ihre Haut war rosig und spannte sich straff über runde Oberarme, pralle Schenkel und Brüste von einer Größe, die Felt sich nicht einmal vorzustellen gewagt hätte. Sie trug ein weich fallendes Kleid in der Farbe ihrer Haut, sodass Felt für einen Moment glaubte, sie sei nackt wie der Knabe zu ihren Füßen. Der Junge hatte ein Halsband umgelegt, von dem eine goldene Kette in Belendras Hand führte. Sie ruhte, halb sitzend, halb liegend, auf einem niedrigen Sessel, einen Teller mit Speisen vor sich. Weitere Speisen, Früchte, Fleisch, Gebäck und Süßigkeiten, türmten sich auf Platten und in Schüsseln. Sie standen auf Tischen, die im Halbkreis um Belendra herum aufgestellt waren.Weitere Sitzgelegenheiten gab es keine – der große, achteckige Raum war, bis auf die Speiseninsel und ein paar Blumenarrangements, leer.
Sie schaute nur kurz auf, als Felt und Wigo eintraten, und widmete sich dann wieder ihrem Essen, das sie mit einer goldenen Gabel zum Mund führte. Sie kaute langsam. Dann sagte sie etwas mit warmer, wohlklingender Stimme, das Wigo zu einer zerknirschten Replik veranlasste. Felt verstand nichts, konnte sich aber denken, dass es Vorwurf und ausführliche Entschuldigung waren. Sie nahm Wigos Worte unbewegt zur Kenntnis und schwieg. Es entstand eine lange, unangenehme Pause. Dann klingelte sie mit einem Silberglöckchen, zwei Knaben betraten den Raum und nahmen an den Tischen Aufstellung.
»Wir sollten uns erst einmal etwas stärken«, sagte Wigo erleichtert, ging zu den Knaben und sperrte den Mund auf. Ein Junge spießte ein Fleischstückchen auf und legte es dem Übersetzer in den Mund, ließ ihn kauen, dann führte er einen Becher an seine Lippen. Felt rührte sich nicht.
Belendra sagte etwas.
»Hm?«, machte Wigo und wandte sich um. »Steh da nicht rum. Komm, iss was.«
»Ich habe keinen Hunger«, sagte Felt und blieb stehen, wo er stand.
»Das kann nicht sein«, sagte Wigo. »Bitte, iss was. Beleidige nicht die Gastgeberin. Außerdem ist es ganz ausgezeichnet, so was hast du noch nie gegessen.«
»Dessen bin ich mir sicher«, sagte Felt.
Belendra sprach wieder und schaute dabei Felt an. Ihre Stimme war wirklich angenehm: beruhigend, sanft und dunkel.
»Sie fragt nach deiner Leibspeise. Sie entschuldigt sich für ihren Koch.«
Felt schwieg. Hier ging es nicht ums Essen.
Belendra hob wieder ihr Glöckchen und klingelte. Ein Mann stürzte in den Raum, er musste direkt hinter der Tür gewartet haben. Er war kaum größer als die Knaben, aber wenigstens bekleidet. Er nahm seine Mütze ab und trat vor seine Herrin, wobei er sich fortlaufend tief verbeugte. Belendra sagte ein paar Sätze, der Mann drehte sich um und sah mit weiten Augen zu Felt. Dann fiel er auf die Knie und stammelte etwas.
Belendra zog an der Kette, der Knabe wandte sich zu ihr und öffnete den Mund. Sie legte ihm mit der Gabel einen Happen hinein, er kaute, ohne seinen Blick von ihr abzuwenden. Dann nickte sie und der Knabe spuckte das Essen auf den Boden.
»Es ist noch nicht lange her«, sagte Felt, »da traf ich einen Jungen. Lerd war sein Name. Ich habe ihn nicht gekannt, denn bei unserer ersten Begegnung war er bereits tot. Er ist nicht älter gewesen als du, Knabe. Und dennoch dauerst du mich mehr als er.«
»Felt!«
»Das kannst du ruhig
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