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Zwölf Wasser Zu den Anfängen

Zwölf Wasser Zu den Anfängen

Titel: Zwölf Wasser Zu den Anfängen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: E Greiff
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grob gepflasterter Weg bot Zugang zu den Schlafräumen der Falkner. Es gab keine Türen oder Grasmatten, die sie vom Hof trennten   – alles war offen und nur durch das überhängende, von Holzpfählen gestützte Rietdach geschützt. Babu sah einige Matten auf dem Boden liegen, ein paar Stoffbündel, kleine Öllampen, einige Ledergurte, sonst nichts. Die Falkner waren augenscheinlich nicht anspruchsvoll   – womit der Thon sie für gut zwei Soldern Arbeit entlohnt hatte, war nicht ersichtlich. Die Falkner zündeten Lampen an, Asshan bat Babu und Jator, auf ledernen, strohgefüllten Bodenkissen Platz zu nehmen. Die Szaslas saßen still, nur die Köpfe drehten sich auf den beweglichen Hälsen und scharfe Augen beobachteten die Gäste.
    Babu versuchte das Weibchen auszumachen, das ihm vor drei Tagen das Ei überlassen hatte. Auf den ersten Blick sahen die Falken alle gleich aus: die Körper so lang wie sein Bein, dasBrustgefieder weiß und grau gesprenkelt, Flügeloberseiten, Rücken und Kopf dunkelbraun. Die langen Schwanzfedern und die Spitzen der Schwingen waren tiefschwarz, die Augen sowie die mächtigen Klauen leuchtend gelb. Bei näherem Hinsehen gab es aber doch Merkmale, die die Vögel voneinander unterschieden. Ein Falke hatte längere, helle und flaumige Federn an Schnabelansatz und rund um die Augen, ein anderer einen Federkragen, was ihn besonders vornehm wirken ließ. Der dritte schließlich, und das musste sie sein, hatte ein dichteres Beinkleid   – milchweiße, feine Federn, die bis auf die Klauenfüße fielen und diese so etwas weniger gefährlich aussehen ließen. Ein Trugschluss, denn Babu erinnerte sich genau, wie sich ebenjene Krallen in das Leder des Falknerhandschuhs gegraben hatten, als er das Ei zum ersten Mal betrachtet hatte.
    Sie war es auch, die ihn ansprach.
    Babu fuhr zusammen, stöhnte vor Schreck auf. Es war nicht einfach eine Stimme in seinem Kopf. Er hörte
wirklich
. Er drehte etwas den Kopf. Ganz eindeutig, die Worte, rau, aber deutlich, kamen aus der Richtung jenes Falkenweibchens. Sie bewegte sich nicht, aber sie sprach:
    »Du fragst dich, warum. Was. Du kennst nicht die Vergangenheit und weißt nicht, was die Zukunft ist. Ich bin Auge und Ohr. Ich sehe dich durch das Gras fliegen. Ich sehe Bewegung ohne Ziel, Jäger ohne Beute. Ich höre deinen Atem und dein Herz spricht: Hunger.«
    Babu war bestürzt und gleichzeitig begeistert: Das war sie, die Stimme der Alten Zeit. All die Geschichten, die die Schiffer ihm erzählt hatten, waren
wahr
. Die Alte Zeit sprach durch diesen Falken und sie sprach zu
ihm
. Die Szasla hatte ihn beobachtet. Sie wusste von seiner Unruhe. Die anderen nun auch? Hörten sie, was er hörte? Babu sah auf Jator, die Falkner. Sie rührten sich nicht. Es kam Babu vor, als wären die anderen erstarrt, alswären ihre Körper von einer seltsamen Unschärfe umgeben, von bewegter Luft, ähnlich wie entfernte Reiter in der heißen, sonnigen Steppe. Sie saßen nah bei ihm, aber sie waren nur zittrige Schemen. Das Einzige, das klar und scharf umrissen, das
wirklich
war, war die Szasla. Sie sprach weiter:
    »Nicht lange mehr, und dein zweites Herz wird das erste nähren. Das eine so groß wie das andere, beide schlagen gleich. Der Hirte wird die Spur finden, der Jäger wird der Beute folgen bis zum Ende, wo der Kreis sich schließt.«
    Juhut-ras
, zweites Herz, auch das wusste sie also. Babu nahm es hin, er wollte glauben. An ein neues Glück, an einen Sinn. An eine Bestimmung.
Der Hirte wird die Spur finden.
Er
war
ein Hirte, er würde die Spur finden. Die neue, Glück verheißende Spur im Gras   … würde sie ihn aus dem Langen Tal hinausführen?
Werde ich so weit gehen? Werde ich das Lange Tal verlassen? Warum?
    Die Szasla antwortete nicht und Babu war sich nicht sicher, ob er nur gedacht oder laut gesprochen hatte. Jators Gesicht nahm wieder Kontur an, der warme, gelbliche Schein der Öllampe wischte die zitternden Schatten fort. Der Freund starrte ihn an, den Mund offen. Dann senkte Jator den Blick und presste die Lippen aufeinander.
    »Junger Falke wird sehr, sehr hungrig sein«, sagte Asshan.
    Babu blickte ihn irritiert an. Der Falkner lächelte.
    »Szaslas kommen, wann sie wollen. Du hast Ei. Du hast ihm Namen gegeben, ja?«
    Babu nickte. Es war ihm unangenehm zuzugeben, dass er das Ei mit
Juhut
ansprach, dass er überhaupt mit einem Ei sprach.
    »Sehr gut, ist gut«, sagte Asshan ernsthaft. »Der Name ist Tor, durch das kann er kommen, jederzeit. Folge

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