Zwölf Wasser Zu den Anfängen
Du lügst. Du hast einen Plan, einen geheimen Plan … du willst uns im Stich lassen! Uns alle!
Mich
!«
»Jator!«
»Was? Habe ich nicht recht? Dann widersprich mir! Nun? Nichts, du schweigst. Mach nur, schweig weiter, dein Schweigen sagt mir alles. Du …« Jator hatte den Satz nicht zu Ende gebracht, sondern sich ruckartig weggedreht. Dann war er losgerannt, wie Babu ihn nie hatte rennen sehen.
Auch jetzt noch, im Licht des strahlenden Morgens, legtesich ein Schatten auf Babus Gemüt, wenn er an den Streit dachte. Was hätte er dem Freund antworten sollen?
Der Hirte wird die Spur finden, der Jäger wird der Beute folgen
? Er war sich ja selber über die Bedeutung dieser Worte nicht im Klaren. Hieß das nun, er würde gehen, alle im Stich lassen? Als er das Ei in Empfang genommen hatte, war es schließlich darum gegangen, die Arbeit der Falkner nach deren Abreise fortzusetzen und das Tal auch weiterhin von Wühlhasen frei zu halten. Genau genommen hatte das aber nur der Thon gesagt – die Szasla selbst hatte sich dazu nicht geäußert und auch Asshan hatte es mit keinem Wort erwähnt. Im Gegenteil, der gestrige Abend erschien Babu von einer Bedeutungsschwere durchzogen, die über das Bekämpfen einer Hasenplage weit hinauswies. Die Alte Zeit hatte zu ihm gesprochen. Nur zu ihm. Aber vielleicht war das nichts als Eitelkeit? Wünschte er sich so sehr, seinem Leben einen besonderen Sinn zu geben, dass er die Zeichen falsch deutete? Möglicherweise hatten die Szaslas ihn nur auserwählt, weil er größer und kräftiger war als jeder andere seines Volkes und deshalb besser geeignet, mit einem großen Vogel umzugehen.
Babu kam nicht weiter. Es hatte keinen Zweck, sich in Gedankengespinsten zu verfangen. Er richtete sich auf und drückte den schmerzenden Rücken durch – die Nacht hatte er wieder sitzend verbracht, gestützt von Kissen und Fellstapeln. Er legte die Hand auf die Brust und fühlte das Päckchen.
»Wir gehen jetzt Leder kaufen, das beste, feinste Leder, das es gibt. Und ich weiß auch, wo.«
Den Eingang zum Gerberviertel markierten zwei bleiche, aufgepflockte Kafurschädel. An den grauen gedrehten Hörnern waren lange Büschel aus Ponyschweifhaar angebracht sowie gefärbte Lederbänder, die im lauen Wind gegen die Pflöckeschlugen. Zuerst kam Babu an den in Flussnähe aufgestellten Öfen vorbei. Seitdem der Thon die Clans geeint hatte und die Merzer sesshaft geworden waren, erlebte das Gerberhandwerk eine bisher nie gekannte Blüte. Die Öfen, in früheren Zeiten provisorische Steinhaufen, waren nun viel größer, fest gemauert und Tag und Nacht in Betrieb. Hier verbrannten die Gerber ein Gemisch aus einer bestimmten Art bröckeliger Steine und großen Mengen Kafurknochen zu einem weißen, staubfeinen Pulver, das anschließend in den Dampfgruben mit Flusswasser vermischt wurde. Eine gefährliche Arbeit, denn sobald das Pulver ins Wasser gelangte, brachte es dieses zum Brodeln – ein Spritzer der Knochenmilch konnte einem ein Loch ins Fleisch brennen. Es bedurfte viel Erfahrung, um das richtige Mischungsverhältnis zu finden. In diese Knochenmilch wurden die frisch abgezogenen Häute gelegt, sie war das Geheimnis der besonderen Weichheit, die das Merzleder auszeichnete.
Babu ließ die Öfen hinter sich und gelangte in den Bereich, der ihm am meisten zuwider war: In der Kahlung wurden die in den Dampfgruben vorbereiteten Häute enthaart, von Fleischresten befreit und zugeschnitten; dickeres Leder wurde gespalten. Knöcheltief standen die Gerber in fauligem Fleisch und Hautfetzen, die sich mit dem aufgeweichten Kafurhaar zu einer ekelhaften Masse verbanden – jeder Schritt schmatzte. Den Gerbern selbst machte das nichts, aber für die Händler, die immer zahlreicher nach Bator Ban kamen, hatten sie Stege gebaut. Rohe Holzlatten lagen auf dem unsicheren, an ein grausiges Moor erinnernden Grund. Die sacht federnden Bretter leiteten Besucher einigermaßen sicher ins Herz des Viertels, wo ein Bottich sich an den nächsten reihte, wo die Häute teilweise über ein ganzes Solder in dunklen, giftig aussehenden Flüssigkeiten ruhten und die Luft so angereichert war mit Dämpfen und Ausdünstungen, dass der Atem sauer schmeckte.Babu sah auch Frauen an den im Boden eingegrabenen Bottichen. Die Heilkunst wurde bei den Merzern ausschließlich von den Gerberinnen ausgeübt. Die geheimen Rezepturen für Tränke, Tinkturen und fettige Salben wurden nur an Töchter, Enkeltöchter oder Nichten
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