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Zwölf Wasser Zu den Anfängen

Zwölf Wasser Zu den Anfängen

Titel: Zwölf Wasser Zu den Anfängen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: E Greiff
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er. Babu sah die Wandlung in Jators Gesicht und wusste, dass es ihm ähnlich ging wie ihm selbst: Je länger sich Jator das Ei besah, desto größer wurde sein Wunsch, es zu berühren, es an sich zu nehmen und zu beschützen. Babu packte es wieder ein.
    »Das ist«, murmelte Jator, »ein wirklich spezielles Ei, Babu. Pass gut darauf auf.«
    Er sah seinen Freund an und fuhr fort: »Aber glaub mir, du kannst ruhig ein wenig durch die Gegend laufen. Kein Mensch wird dir zu nahe kommen, nein, alle Welt wird einen großenBogen um dich machen   – du stinkst nämlich wie ein sterbendes Kafur.«
    Jator konnte Babu schließlich davon überzeugen, dass ein Bad im Fluss niemandem schaden würde. Und tatsächlich, es tat ihm gut. Babu tauchte ein ins immer noch lendernwarme, klare Wasser der Merz und Jator saß am Ufer, das Päckchen im Schoß, und trank Bier. Ein Schwarm Gründlige stand in der sanften Strömung und schnappte nach Leckerbissen, die Babu mit dem Schlamm aufwirbelte. Ein Stück flussabwärts führte ein Hirte seine Kafur zur Tränke. Ein Entenpaar, das kreiselnd auf dem langsam dahinfließenden Strom gepaddelt war, fühlte sich gestört und flog unter lautem Protest auf, einen Schweif aus glitzernden Tropfen hinter sich herziehend. Doch gleich darauf ließ es sich nur wenige Längen weiter wieder auf dem Wasser nieder.
    Hier, unterhalb der Stadt, verbreiterte sich die Merz zu einem See. Die Ufer waren seicht, Kies und Sandbuchten wurden unterteilt von in den Fluss hineinreichenden Zungen aus Schilfgräsern. Babu wandte sich um und blickte flussaufwärts. Rechts, am Nordufer, lag Bator Ban. Dort, wo die Merz wieder schmaler wurde, führte die einzige Brücke über den Fluss. Über sie gelangte man zu den Gerbern, die sich am Südufer angesiedelt hatten. Wie gut Bator Thon diesen Ort ausgesucht hatte!
    Und doch konnte Babu nicht bleiben.
    Der Gedanke erschreckte ihn, als er ihm so plötzlich und klar im Bewusstsein stand. Als wären all der Missmut, das Unwohlsein und die Unruhe, die während des langen, heißen Lenderns in ihm gewachsen waren, mit einem Mal in diese eine Erkenntnis zusammengefallen: Er, Babu, musste das Lange Tal verlassen.
    Wieder flogen die Enten auf, laut schnatternd und diesmalohne ersichtlichen Grund. An der Tränke kam Bewegung in die Kafurherde, das heisere Blöken der Rinder wehte zu Babu herüber. Der überraschte Hirte versuchte die Tiere zur Ordnung zu rufen, aber sie drängten alle auf einmal vom Wasser weg. Babu sah, wie der Hirte umgestoßen wurde, ins schlammige Wasser fiel, für einen Augenblick verschwand und wieder auftauchte, mit den Armen ruderte und seinen Kafur hinterherrief. Dann sah er nichts mehr. Auf einen Schlag sackte der weiche Boden unter ihm weg, Babu rutschte unter Wasser, er riss die Augen auf, alles trübe, er schwamm, er kam wieder hoch. Er atmete, machte ein paar schnelle Züge, sah Jator am Ufer. Das Ei! Babu fühlte wieder Boden unter den Füßen, wollte rennen und schwimmen gleichzeitig.
    »Das Ei?«
    Er rief, er verschluckte sich, er hustete.
    Jator kam ihm entgegen.
    »Was ist denn? Was war denn?«
    »Das Ei!«
    »Hier.« Jator hielt ihm das Päckchen hin. »Alles in Ordnung, hier ist dein kleiner Schatz.«
    »Hast du das nicht gespürt?«
    »Nein, was denn?«
    »Ein Beben. Oder etwas in der Art.«
    Jator zuckte die Schultern.
    »Sicher? Hier war nichts.«
    »Mir ist der Boden unter den Füßen weggerutscht.«
    Babu schüttelte sich das Wasser aus den langen Haaren.
    »Hm«, machte Jator und sah skeptisch auf den Fluss, »vielleicht nur unterspült   …«
    Sie schwiegen, warteten, schauten auf den Fluss. Nichts. Alles blieb ruhig. Babu begann sich anzukleiden und nahm das Ei wieder an sich. Die Merz führte so wenig Wasser, er konnte sichnicht vorstellen, dass sie die Kraft hatte, den Grund wegzuspülen. Er hatte keine Strömung gespürt. Eher eine Erschütterung, zuerst in seinem Innern: Er musste das Lange Tal verlassen. Warum? Babu griff sich an die Brust, fühlte sein zweites Herz.
    »Willst du mich begleiten?«, fragte Babu schließlich und flocht sich nachlässig seine Zöpfe.
    »Wohin auch immer du willst   – wohin willst du?«
    »Ich will den Falknern einen Besuch abstatten«, meinte Babu und schnürte sich die Stiefel zu. »Ich weiß so wenig   … über dieses Ei, über alles.«
    Das Entenpaar war immer noch in der Luft, als die Freunde sich schon längst vom Ufer des Flusses entfernt hatten. Zwischen den Schilfgräsern stiegen große

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