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Zwölf Wasser Zu den Anfängen

Zwölf Wasser Zu den Anfängen

Titel: Zwölf Wasser Zu den Anfängen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: E Greiff
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war, als träte man in einen Traum. Einen Traum von außergewöhnlicher Klarheit jedoch, der jedenBesucher von sich selbst befreite: Felt spürte deutlich, wie er sich selbst immer unwichtiger wurde, wie sein Streben und Pflichtbewusstsein sich auflösten wie Trugbilder, wie sogar seine Liebe zu Estrid und den Kindern verblasste zu einer liebgewordenen Erinnerung an etwas, das zwar schön, aber lange überwunden war. Eine Ruhe breitete sich in ihm aus wie das Licht eines überhellen Monds, das sich ungehindert über eine leere, ebene Landschaft ergießt. Den anderen schien es ebenso zu gehen. Waren sie eben noch nervös und außer Atem vom scharfen Ritt in die Grotte getreten, schauten sie nun gelassen und unbewegt über das Wasser. Ihre Blicke richteten sich zwar auf die in der Mitte des Sees gelegene Insel, aber das war wie zufällig, unbeabsichtigt und ohne Erwartung. Auf der Insel stand ein fensterloses Gebäude, ein großer steinerner Pavillon, dessen Kuppeldach in einer langen Spitze auslief, die, ähnlich wie die Säulen, mit der Decke der Grotte verwachsen war: der Tempel der Undae. Und von dort kamen sie nun.
     
    Die Frauen gingen durch das Wasser auf die am Ufer wartenden Soldaten zu. In ihre fließenden Gewänder gehüllt, schienen sie über das Wasser zu gleiten wie leichte Boote, kaum dass eine Welle die Spiegelfläche des Sees erzittern ließ. Es lag etwas zutiefst Verstörendes in dieser langsamen, aber zielgerichteten Bewegung. Das war vollkommen neu und etwas, das Felt in der Grotte nie zuvor empfunden hatte. Hier war die Ruhe, hier war die Leere, immer. Nun aber war es anders und das war unfassbar, denn es war immer noch ein Gefühl wie im Traum   – der sich aber in einen Albtraum umgewendet hatte. Felt fühlte eine Bedrohung, die zwar nicht von den auf ihn zukommenden Frauen ausging, die sie aber mit sich zogen. Sie hatten eine Furcht im Schlepptau und Felt griff sich spontan an den Gürtel. Doch da war kein Schwert.
    Dann, noch bevor die Gruppe das Ufer, an dem die Soldaten standen, erreicht hatte, begannen sie zu sprechen. Gleichzeitig und einzeln, mit achtzig Stimmen und mit einer   – klar und deutlich sprachen aus jeder einzelnen Unda die Stimmen aller und insgesamt schien es doch nur die helle Stimme einer Frau zu sein, die wie ein Lichtstrahl auf ein Prisma traf und sich in ein vieltönendes Spektrum auffächerte:
     
    »Hört!
    Wasser sinkt.
    Wasser steht.
    Wasser schweigt.
    Etwas geht vor.
    Des Eldrons Stimme wird schwach, es wiederholen sich Geschichten aus alter Zeit.
    Aus dem fernen Süden Zorn:
    Wütendes Brodeln und Kreischen in Gefangenschaft, ein schwaches Echo nur, das sich in Wind zerstäubt, unverständlich und fremd.
    Im Norden Sorge.
    Etwas geht vor. Eile!«
     
    Das Licht der Stimme erlosch. Die Frauen standen nun am Saum des schwarzen Wassers, selbst zu Säulen erstarrt, und was sie mit sich gezogen hatten, erreichte ebenfalls das Ufer. Es war groß. Es war mächtig. Es war eine übermannshohe Welle der Angst, die über die Frauen schlug, vor ihnen brach und ans steinerne Ufer brandete; Felt hörte das Blut in seinen Ohren rauschen, spürte Kälte um seine Stiefel schwappen und mit ihr ein Grauen in sich aufsteigen, das ihm die Glieder absterben ließ. Rendlid schrie auf und Marken entfuhr ein entsetztes Stöhnen. Kersted hob den Arm vors Gesicht, als wolle er sich gegeneine unsichtbare Gischt schützen, die ihn mit Verzweiflung besprühte. Strinder krümmte sich zusammen. Lomsted wich zurück, die dunklen Augen aufgerissen. Talmerd packte den Arzt und hielt ihn fest, aber auch dem alten Kampfmeister war die Panik ins Gesicht geschrieben. Felt rührte sich nicht, ebenso wenig der Hauptmann. Ein grimmiges Lächeln verzerrte sein Gesicht. Es kostete ihn ebenso viel Mühe wie Felt, standhaft zu bleiben, aber er widersetzte sich und Felt spürte, wie die Woge der Furcht langsam verebbte. Zurück blieb ein feiner Sprühnebel, winzige Tröpfchen der Sorge, die sich wie ein feuchter Schleier auf die Gesichter der Welsen legte und sie bedrückte.
    Abermals erfüllte der Chor die große Grotte und nun auch die Welsen selbst, denen alle Ruhe und Gelassenheit aus den Gemütern gespült worden war. Atemlos lauschten sie.
    »Drei mal drei sollen gehen
    und dreimal eine begleiten,
    die Quellen aufzusuchen.
    Das ist der Rat der Undae.
    Denn:
    Zwölf Wasser sollen fließen,
    zwölf Quellen sollen sprechen,
    vom Werden und Vergehen durch die Zeit.
    Zwölf Wasser sollen fließen,
    zwölf

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