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Zwölf Wasser

Zwölf Wasser

Titel: Zwölf Wasser Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: E. L. Greiff
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etwa zwanzig Schritten zu durchmessenden Kammer, dann zu einer Höhle, deren Anblick Felt sprachlos machte. Die Erinnerung an das Gewölbe über dem Quellsee von Pram sprang ihn kurz an, aber dies hier war weit eindrucksvoller. Es war ein Palast der Beharrlichkeit. Hier war eine Geduld Baumeister gewesen, wie sie nur die Urstoffe der Welt selbst aufbringen konnten: Wasser und Stein.
    Sie überblickten den größten unterirdischen Raum, den Felt je gesehen hatte. Von der hohen Decke hingen in unzähligen Staffelungen Fahnen aus Stein, von unten streckten sich ihnen, aufgereiht wie Soldaten, steinerne Stelen entgegen. Sie funkelten ebenso wie die mit Rissen durchzogenen Wände der Höhle im Glanz der Kristalle, mit denen sie übersät waren. Alles strahlte und glänzte in Gold- und Brauntönen. Babu sprach aus, was Felt dachte: »Es ist gar nicht dunkel hier.«
    Ein diffuses Licht kam aus terrassenförmig von den Wänden zum Höhlengrund hin abfallenden Wasserbecken. Felt kannte das Phänomen dieser Steinwannen aus Goradt   – in der Hadred nutzten die Schmiede solche Sintertröge als Abschreckbecken für die heißen Klingen –, aber so viele, so große und vor allem solche wie mit sanftem Abendlicht gefüllte Becken hatte er noch niemals gesehen.
    Der Gang hatte sie auf einen von glitzernden Steinzacken gesäumten Vorsprung oberhalb der Becken geführt, die wie Stufen zum Höhlengrund führten. Durch diese Becken würden sie hinabsteigen müssen, wenn sie nach unten gelangen wollten. Felt erschien das mindestens so frevelhaft, wie mit schmutzigen Stiefeln über eine mit weißem Leinen gedeckte Hochzeitstafel zu laufen. Alle drei standen sie ganz still und lauschten auf das Tropfen des Wassers, das die grandiose Kristallhalle erfüllte wie eine rhythmische und melodische Musik.
    »Es quält mich, unter der Erde zu sein«, murmelte Babu und man hörte die Ehrfurcht in seiner Stimme. »Aber ich habe die Erde noch niemals in solcher Schönheit gesehen.«
    Reva trat vor, stieg vorsichtig über die Tropfsteinzacken in eines der Becken. Es war nicht tief, der Wasserspiegel reichte ihr bis zu den Oberschenkeln. Das Licht schien sich vom Boden zu lösen und an Revas Gewand zu heften. Das silbrige Gewebe leuchtete dort, wo es ins Wasser reichte, hell auf. Wigos Worte, gesprochen im Fieber, kamen Felt in den Sinn: Reva, die Geheimnisvolle, hat mich gerettet … dieses Strahlen, ich kann es sehen, sie leuchtet, sie ist wunderschön …
    Felt schluckte. Eine Unda durfte hier sein. Mehr noch: Eine Unda   – der Ewigkeit und Schönheit so viel näher als er oder Babu   – sollte hier sein. Reva gehörte hierher, er nicht. Mit einem Mal stellte Felt alles in Frage.
    Wer war er denn, dass er glaubte, die Menschheit vor dem Untergang retten zu müssen? Gab es etwas, das noch eitler war? Und war es nicht angesichts solcher Schönheit und Erhabenheit sogar besser, die Menschen verschwänden vom Angesicht des Kontinents? Sie hatten doch hier nichts zu suchen, die Erde war besser dran ohne sie. Die Menschen verwandelten fruchtbares Land in Asche, saugten Erze aus dem Stein, damit sie Waffen fertigen und Tod und Unheil bringen konnten. Einige Sätze von Reva, gesprochen nahe der sterbenden Quelle der Freundschaft und nahe beim sterbenden Wigo, fielen ihm ein.
    Das Wasser wird einen Weg finden, so wie es immer einen gefunden hat. Es braucht dich nicht, es braucht niemanden, aber du brauchst das Wasser. Weil du ein Mensch bist.
    Felt wäre beinahe auf die Knie gefallen, so schwach fühlte er sich, so unbedeutend kam er sich vor. Weil er ein Mensch war.
    Reva drehte sich nach den Männern um, ihr Gleißen war schmerzhaft. Felt kniff die Lider zusammen, Babu legte schützend die Hand über seine Augen. Lange blickte die Unda auf die beiden Menschen, die versuchten, Haltung zu bewahren.
    »Demut«, sagte sie schließlich, »ist eine Tugend.«
    Das Licht des Beckens floss an Reva empor, ähnlich einer Flüssigkeit, die in einem engen Glasröhrchen aufsteigt. Dabei schien es die Narbenranken nachzuzeichnen, die die Haut der Unda zierten. Die Linien in ihrem Gesicht leuchteten auf, wie Felt es schon öfter gesehen hatte, aber klarer und heller als jemals zuvor. Es war, als würde sie wie ein Baum den Lebenssaft in sich hoch bis in die feinsten Verästelungen ziehen. Und so, wie man an einem einzigen Blick die Liebe erkennen kann, ohne zu begreifen, was Liebe eigentlich ist, so begriff Felt die Urkraft des Lebens, als er Reva ansah. Felt

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