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Zwölf Wasser

Zwölf Wasser

Titel: Zwölf Wasser Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: E. L. Greiff
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hatte die neugeborene, schreiende Ristra in den Armen gehalten und er war jenseits des Kontinents gewesen, wo das Leben kein Gewicht mehr hatte und sich mit Leichtigkeit über den Tod erhob. Eigentlich wusste er längst alles über das Leben und trotzdem brauchte er Reva, damit sie ihn immer wieder daran erinnerte. Ja, Demut war eine Tugend. Aber vor die Wahl gestellt, diese majestätische Halle zum Einsturz zu bringen oder Ristra in die Arme zu schließen, sie heranwachsen zu sehen, vielleicht gar auf einen Enkel zu hoffen, wäre die Entscheidung klar. Das Leben war mehr wert als eine Halle aus Stein. Das Leben war alles.
    Felt lächelte, rieb sich die Augen. Die Welt brauchte ihn vielleicht nicht. Aber die Menschen brauchten einander. Es spieltekeine Rolle, ob sie hässlich waren oder dumm, unwürdig oder gar überflüssig. Sie brauchten einander. Die Menschen waren nun einmal in dieser Welt und sie hatten die Fähigkeiten, einander zu lieben, sich umeinander zu sorgen, füreinander einzustehen. In Demut vor der Größe und Erhabenheit von Wasser und Stein zu erstarren und vor dem, was die Urkräfte über alle Zeiten hinweg erschaffen hatten, war das Eine. Ein Kind zu haben, zu lieben und großzuziehen war das Andere. Das war das Leben. Noch. Noch war es möglich, in dieser Welt wahrhaftig zu leben . So tief sein Mut eben gesunken war, so hoch stieg er nun und eine unbändige Lust, zu leben und alles, wirklich alles zum Guten zu wenden, erfüllte Felt.
    »Wenn man schon über die Hochzeitstafel laufen muss, sollte man sich wenigstens die Stiefel ausziehen«, sagte er und steckte das Schwert weg.
    Babu nahm die Hand von der Stirn und blickte ihn verständnislos an. Felt zuckte die Schultern.
    »Das ist … ein welsisches Sprichwort. Was wir, wie ich finde, in diesem Fall wörtlich nehmen sollten.«
    Babu räusperte sich, setzte sich hin und zog mit einem Lächeln auf den Lippen seine Stiefel aus. Nun, wo er es sah, fiel Felt wieder auf, wie selten Babu lächelte und wie schade das war.
15
    Barfuß und mit hochgekrempelten Hosenbeinen wateten sie hinter Reva durch die Sinterbecken hinab. Das Licht heftete sich auch an ihre Haut; es war eingeschlossen in einem weichen, algenartigen Belag, und als sie schließlich unten angekommen und aus dem letzten Becken hinausgetreten waren, schimmerten ihre Füße und Beine noch. Bei einem mannsgroßen, kerzengerade nach oben wachsenden Tropfstein machten sie eine kurze Rast und kauten eine Handvoll trockenes Steinmilchkraut. Krebse gab es hier keine und weder Babu noch Felt waren traurig darüber.
    »Die Steine, die von unten nach oben wachsen, nennen wir Manten «, erklärte Felt. »Die von der Decke herunterhängen, heißen Kabten . Es gibt den Brauch, einen eisernen Ring auf die Spitze einer Mante zu stecken, wenn ein Paar sich ewige Liebe schwört. Sobald der Ring in den Stein eingewachsen ist, also Mante und Kabte sich zu einer Säule vereinigt haben, bedeutet das, man wird sich niemals trennen.«
    »Das wird man wohl kaum erleben, dass der Ring einwächst.«
    »Man muss dem Stein ein wenig nachhelfen, das stimmt.« Felt lächelte.
    »Was? Wie hilft man denn einem Stein? Beim Wachsen ?«
    Nun musste Felt laut auflachen.
    »Babu, du bist wirklich kein Mann der Berge. Stein ist nicht gleich Stein. Es gibt ein paar Kniffe, um das Wachstum zu beschleunigen, zum Beispiel mit Essig. Es dauert natürlich trotzdem viele Soldern und man muss die Steine immer wieder aufsuchen. Aber es lohnt sich, denn mit nichts kannst du deiner Frau mehr Freude bereiten als mit einem Ring im Stein, einem Kranger ord Te . Vorausgesetzt, sie ist Welsin.«
    »Und?«, fragte Babu. »Hast du für deine Frau auch –«
    Babu brach ab, Felt war unvermittelt aufgestanden.
    »Verzeihung, das geht mich nichts an.«
    »Schon gut«, sagte Felt. »Und nein, wir haben auf so eine Spielerei verzichtet.«
    Als Felt einmal auf einen Steinring zu sprechen gekommen war, waren sie bereits drei Soldern verheiratet gewesen. Er hattenie den richtigen Zeitpunkt gefunden, Estrid danach zu fragen, und als er es dann getan hatte, hatte sie prompt behauptet, auf diese Form der romantischen Liebesbezeugung keinen Wert zu legen. Heute war Felt sich da nicht mehr so sicher. Er hätte nicht fragen dürfen   – er hätte es einfach tun sollen.
    »Reich mir bitte kurz den Dolch«, sagte Felt und Babu gab ihn ihm. Felt löste vorsichtig einen großen Kristall aus der Höhlenwand. »Hier, Babu, nimm ihn mit. Reich wird er dich nicht

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