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Zwölf Wasser

Zwölf Wasser

Titel: Zwölf Wasser Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: E. L. Greiff
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konnten bis heute das Murmeln des Wassers verstehen.
7
    Schwarze Vögel flogen auf. Die kreischende dunkle Wolke schien wie im Zorn aufzuwallen und verzog sich dann in ein nahes Waldstück. Die Soldaten, nach vielen Tagen schweigenden Marschierens durch die stille sonnenheiße Ödnis von der Begegnung ebenso verschreckt wie die Vögel, steckten mit zitternden Händen die Schwerter zurück in die Futterale. Auf ein Zeichen von Marken hin verließen sie die Straße, um in Augenschein zu nehmen, worauf die Vögel gesessen hatten. Es sah bizarr aus: Auf langen, eng zusammenstehenden Stecken war ein dichtes Flechtwerk angebracht, teilweise mit Stoff ausgestopft. Marken sah Fetzen wehen.
    Schon nach einigen Schritten erkannte er seinen Irrtum. Das war kein Flechtwerk. Das waren Knochen. Auf den Steckenwaren Körper aufgespießt. Die Füße waren abgefressen. Die Brustkörbe fast alle leer. Die Köpfe fehlten. Um die Leibesmitte und an den Oberschenkeln hing noch das meiste Fleisch und Lumpen von ehemals blauem Tuch. Die Vögel hatten von oben angefangen, Raubtiere von unten. Marken trat nah an die grausige Folterstätte heran. Man hatte die Menschen eng beieinander, die Hände hinter dem Rücken gefesselt, aufrecht auf die Stangen gesetzt   – zwischen einigen Rippenbögen konnte Marken die stumpfen Enden der Stecken sehen, dunkel verklebt von altem Blut und Eingeweideresten. Ihm wurde klar, was hier geschehen sein musste: Das eigene Körpergewicht hatte die Bedauernswerten hinuntergedrückt. Und die Stangen langsam immer tiefer in ihre Leiber geschoben.
    »Zum Glück hat man denen vorher die Köpfe abgeschnitten«, sagte Strommed mit belegter Stimme. »Was für ein furchtbarer Tod muss das sonst sein … das muss Tage dauern.«
    Marken hörte ein Würgen, einer der Pramer erbrach sich. Es war der junge Bursche, dessen Angst auf dem hohen Dach im leeren Hal so deutlich spürbar gewesen war. Er war höchstens zwanzig Soldern alt; sein älterer Bruder war mit von der Partie und Marken erlaubte den beiden mit einem Kopfnicken, sich zu entfernen. Dann wandte er sich wieder den Aufgespießten zu. Sie waren im Kreis aufgestellt, insgesamt wohl neun Männer. Genau konnte man es nicht sagen, denn es war nicht mehr genug von ihnen übrig. Bald würden sie als Skelette von den Stangen rutschen, aber noch schienen sie sich mit ihren abgenagten Schultern gegenseitig zu stützen.
    »Ich glaube, von Glück kann hier keine Rede sein«, sagte Marken. »Wieso hätte man sie fesseln sollen, wenn sie schon tot waren?«
    »Nicht tot … waren«, mischte sich einer der pramschen Soldaten ein. Er trat vor; es war Mellon, den Marken für denzähesten der Pramer hielt. »Erst Stock, dann Kopf ab, wenn tot. Kwother machen das mit …« Er suchte nach dem passenden Wort.
    »Verbrechern?«, sprang Strommed ihm bei. »Oder Verrätern?«
    Mellon nickte. »Ja, Verrätern bei Soldaten.«
    »Deserteuren«, sagte Marken.
    »Ja! Das ist Strafe für Deserteuren. Auf Stock sitzen, sterben, langsam, sehr langsam. Viel Schmerz, da, Stock ist stumpf. Dann Kopf ab und wegwerfen.«
    Strommed holte tief Luft. Auch Marken war betroffen von der Grausamkeit der Kwother. Bei den Welsen wurde Ungehorsam ebenfalls bestraft, wenn auch nicht so drastisch und nur theoretisch. Denn in der Praxis kam es nicht vor, dass ein welsischer Soldat sich eine gröbere Disziplinlosigkeit leistete, von Desertieren ganz zu schweigen. Das war auch anda , zu besseren Zeiten, nicht geschehen. Auf diese Idee kam ein Welse einfach nicht.
    »Mellon.« Marken fasste den Pramer bei der Schulter. »Sag mir: Was ist hier los? Was denkst du?«
    Mellon kratzte sich unter dem Helm den schweißfeuchten Nacken. Er blickte nicht zu den Aufgespießten, sondern sah den Welsenoffizier an.
    »Nicht wissen. Harte Strafe, warum? Warum lieber das, als   … kämpfen?«
    »Kämpfen«, wiederholte Marken tonlos. Die sorgenvollen Ahnungen, die seit der Ankunft im verlassenen Hal an ihm nagten, fraßen sich immer weiter in sein Bewusstsein.
    »Sollten wir die nicht da runterholen? Verbrennen?«, fragte Strommed.
    »Nein«, sagte Smirn. So kalt, so schneidend war dieses Nein, dass Strommed augenblicklich erstarrte. Aber Marken sah, dasssich die strahlenden Augen der Unda verdunkelt hatten. In Smirns Gesicht stand tiefes Mitleiden, als sie zu den grausam zugerichteten Leichen aufblickte. Langsam ging sie um sie herum, legte ihre Hand sanft auf blanke Unterschenkelknochen und zerrissenes, faulendes Fleisch. Sie

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