Zwölf Wasser
die Erinnerung an Dant, den Gerber, streifte.
»So etwas gibt es nicht im Langen Tal, noch nicht«, sagte eine Stimme. Klar und mühelos drang sie durch den Lärm an Babus Ohr. Er wandte sich um und sah in Revas helle, narbenumrankte Augen. »Dies ist eine Mühle. Genauer gesagt eineÖlmühle, die älteste des Kontinents. Kleide dich an und komm mit nach draußen, Babu. Dort lässt es sich leichter reden und außerdem werden dir Licht und Luft guttun. Über zwei Zehnen hast du nun unter dem Dach gelegen – eine lange Zeit ohne Himmel für einen Merzer.«
3
Babu hatte sein Lederhemd nicht finden können, dafür einen wollenen Kittel und ein langärmliges Unterhemd. Er hatte beides angezogen und es nicht bereut: Als er auf wackligen Beinen nach draußen trat, schlug ihm klare, kalte Luft entgegen. Es hatte geschneit, zwar nur wenig, gerade genug, um Erdboden und Dächer weiß zu überpudern, aber der Firsten war da. Er war hier nicht so scharf, so blendend weiß wie damals in den Galaten. Dort hatten Kälte und Höhe Babu so zugesetzt, dass er fast gestorben wäre. Dort war er in ein Zwischenreich geraten und irgendetwas war passiert, während er sich zwischen Leben und Tod befunden hatte. Irgendetwas hatte ihn benutzt und war aus jenem Zwischenreich durch Babu hindurch in die Wirklichkeit geschlüpft und zu einem Rudel Wölfe geworden.
Er fuhr sich über den Verband, wischte die Erinnerung weg. Wenn der Splitter fort war, gab es keinen Keil mehr und Babu konnte das Tor schließen. Nichts würde hindurchschlüpfen. Nichts käme aus den Schatten in die Welt, das in den Galaten geschehene Unglück würde sich nicht wiederholen.
Er blickte auf. Sein Herz wurde weit und leicht, als er Juhut seine ewig gleichen Kreise über einen mit feinen Schleierwolken geschmückten Himmel ziehen sah. Er war da. Fern zwar, sehr weit oben, aber der Falke war da. Zuletzt hatte Babu sich selbst nur noch als Last empfunden, als Sack voller Schmerzenund Unheil. Nun war er dankbar, am Leben zu sein. Er war dankbar, dass Juhut ihn nicht verlassen hatte. Und er war dankbar, dass Felt einmal mehr stur geblieben war und ihn gerettet hatte. Dieser Mann gab wohl nie auf – er würde Babu selbst dann aufsammeln, wenn er bloß noch ein Haufen Knochen wäre.
Sie waren nicht weitergezogen zur Quelle. Denn nicht nur Babu hatte Zeit gebraucht, um wieder zu Kräften zu kommen, das sah er nun. Eine erneute Welle der Dankbarkeit schwappte in Babu hoch und hätte beinahe seine Augen erreicht. Er hielt die Tränen gerade noch zurück, als er Felt sah. Der Welsenoffizier saß, eingepackt in Decken, auf einer Bank am Mühlteich. Er musste bis an seine äußersten Grenzen gegangen sein, um Babu hierherzubringen. Hunger und Anstrengung hatten neue, tiefe Falten in Felts Gesicht gegraben, die auch eine fortschreitende Erholung nicht glätten konnte. Die Ubid Engat und alles, was dort geschehen war, hatten für immer ihre Spuren hinterlassen.
Reva hatte Babu zu der Bank begleitet, und als sie nun nähertraten, sah er, dass neben Felt noch eine weitere, gebeugte Gestalt saß. Es war eine steinalte Frau, ebenso in Decken gehüllt wie der große Mann neben ihr. Felt lächelte Babu an und bedeutete ihm dann, sich zu setzen.
»Setz dich und hör einfach zu«, flüsterte Reva. »Die gute Melrunden hat wahrlich einen Narren an Felt gefressen – und dich wird sie auch mögen. Das liegt in ihrer Natur.«
»… aber das war noch lange nicht das Ende, nein!«, hörte Babu die Alte gerade krächzen, doch da bemerkte sie ihn und unterbrach sich.
»Oh, was für ein hübscher junger Mann! Nein, wirklich! Was habe ich für ein Glück. Nun kann ich mich an zwei Männern wärmen, das ist der beste Firsten seit Soldern, auch wenn es wohl mein letzter sein wird. Komm, setz dich, mein Junge, setz dich zu uns. Ich war gerade dabei, das Ende einer Geschichte zu erzählen. Das selbstverständlich gleichzeitig der Anfang einer neuen ist. Das ist bei allen guten Geschichten so, musst du wissen.«
Umständlich, aber für ihr Alter recht flink und mit einem schelmischen Glitzern in den wässrigen Augen rückte sie näher an Felt, um für Babu Platz auf der Bank zu machen. Kaum hatte der sich niedergelassen, rückte sie wieder etwas von Felt weg und an den Jüngeren heran. Felt verkniff sich sein Grinsen nicht. Endlich hatte sich die Alte zwischen den beiden Männern zurechtgeruckelt und grunzte zufrieden.
»Um mich müsst Ihr Euch nun nicht mehr sorgen, Hohe Frau, Ihr
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