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Zwölf Wasser

Zwölf Wasser

Titel: Zwölf Wasser Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: E. L. Greiff
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Glucksen des Bachs und wenn Wind darüberstrich. Es hörte sich an wie ein vielstimmiges Wispern. Von der Bank aus konnte man gut das große Rad der Mühle sehen, das sich, angetrieben vom Wasser aus dem Teich, beständig drehte. Ob Teleia genau wie das Rad stets in Bewegung war, immerzu in ihrer Mühle arbeitete?
    »Nun!«, rief Melrunden aus und schlug Babu und Felt überraschend kräftig auf die Schenkel. »Wo bin ich nur wieder mit meinen Gedanken? Weiter geht’s: Am nächsten Tag waren die braven Leute bedrückt, denn ihr Kind war nicht zurückgekehrt. Aber ein Hof verlangt, dass man weitermacht. Also waren alle bei der Arbeit, als mit einem Mal ein Schwein in den Gemüsegarten kam und den Kohl zu fressen begann. Die Mutter, die den Kohl für den Firsten einlegen wollte, sah es und ward ganz starr und steif vor Sorge. Was sollten sie im Firsten essen, wenn dieses Schwein ihren Kohl auffraß? Sie rief nach ihrer Tochter: ›Schnell, schnell! Ein Schwein frisst unseren Kohl, jag es fort!‹ Nun war es die jüngste Tochter, die den Ruf hörte. Sie rührte gerade die Suppe und kam mit dem Löffel in der Hand angelaufen. Das Schwein schaute sie mit kleinen, schwarzen Augen frech an und schmatzte: ›Willst du mir eins überbraten? Dann lass sehen, ob deine Kraft dazu reicht!‹ Und schon lief es davon in den Wald. Das Mädchen, zart wie eine Blume, aber mutig, sprang hinterdrein. Es war so in Rage, dass es die warnenden Rufe der Mutter nicht hörte   – und schon stand es ganz traurig mit seinem Löffel zwischen den Bäumen und wusste nicht ein noch aus. Da trat zwischen den Stämmen ein Jägersmann hervor, schaute sie mit schwarzen Augen verschlagen an und sagte: ›Schönes Kind, du hast dich verlaufen und findest den Weg nach Hause nicht mehr. Komm mit mir, ich werde für dich sorgen und du musst nichts weiter tun, als mir eine Nacht von drei Nächten zu Diensten sein. Die andere Zeit hast du für dich.‹ Das war ein abscheuliches Angebot, denn die jüngste Tochter war noch keine zehn Soldern alt. Sie begriff aber sehr gut, was der Jägersmann von ihr wollte, und weil sie, wie ich bereits erwähnte, sehr mutig war, ging sie mit dem Jägersmann mit.«
    Tadelnd schüttelte Melrunden den Kopf, doch in ihrem zerfurchten Gesicht lag Bewunderung. Felt griff in die Falten seiner Decke und reichte der Alten und Babu einige getrocknete Früchte. Melrundens Hände, genauso verschrumpelt wie die kleine Frucht, begannen sogleich, die dunkle Schale abzulösen. Babu tat es ihr nach. Darunter kam ein heller, harter Kern zum Vorschein. Melrunden schloss beide Fäuste darum, knackte ihn. Dann puhlte sie das Innere heraus und aß es. Babu kostete   – es war die gleiche Süße, die er an Teleias Händen gerochen und im Brot geschmeckt hatte. In diesem Kern aber war sie ungleich intensiver. Es war köstlich.
    »Das sind Sedrowes , Lindnüsse«, erklärte Felt. »Ihr Duft ist heilsam, ihr Öl verjüngend und aus dem Mehl kann man ein Brot backen, das den größten Hunger stillt. Die Lindbäume wachsen nur hier, nicht wahr, Melrunden?«
    Die Alte kaute bedächtig und gab keine Antwort.
    »Sie versteht kein Wort von dem, was ich sage. Aber sie ist nicht taub, glaub das nicht. Sie und Teleia sprechen nur Segurisch, und auch nur einen bestimmten Dialekt. Wir können sie zwar verstehen, das haben wir aus Wiatraïn mitgebracht …«
    »… aber sprechen tun wir nach wie vor nur unsere eigenen Sprachen«, vervollständigte Babu. »Ich hatte das erst vergessen, weil wir uns die ganze Zeit ohne Schwierigkeiten verständigen konnten. Und ich habe es dem Mädchen nicht geglaubt, habe gesagt, sie würde lügen …« Babu schüttelte den Kopf, was er gleich sehr bereute. Er griff sich an den Verband.
    »Wie geht es dir?«, fragte Felt.
    »Gut. Viel besser, jetzt, wo das Ding heraus ist. Habt ihr es   … gefunden? Hast du den Splitter gesehen, Felt?«
    Eine seltsame Veränderung ging mit dem strengen Mann vor: Seine grauen Augen flackerten unsicher, wichen Babus Blick aus und suchten den Bachlauf ab, den Reva bergan gewandert war. Sie war nirgends zu sehen. Felt straffte die Schultern,aber als er sprach, war seine Stimme so brüchig, dass Melrunden besorgt zu ihm aufblickte.
    »Ich habe es gesehen, das … Ding in deiner Stirn.« Er räusperte sich. »Babu, es ist noch dort. Es ist fest mit dem Knochen verwachsen. Es zu entfernen würde dich töten. Man kann den Splitter nicht herausholen, du musst damit leben.«
    Es fühlte sich an, als

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