Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Zwölf Wasser

Zwölf Wasser

Titel: Zwölf Wasser Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: E. L. Greiff
Vom Netzwerk:
nicht vorgehabt. Es ist nicht meine Art, die zu quälen, die mir wohlgesonnen sind.«
    Sie sah ihn geradeheraus an. Kersteds Zorn   – oder besser sein Trotz   – verflüchtigte sich. Utate war weder überheblich noch hinterlistig. Sie hatte nur eine Absicht: die Quelle zu retten und somit den Frieden. Sie sah den großen Zusammenhang und stellte sich in den Dienst der Sache   – etwas, das Kersted als Soldat gut verstehen konnte. Und wonach auch er, immerhin welsischer Offizier, ebenfalls handeln sollte. Nach dem ersten Schreck begann nun sein Hirn zu arbeiten und Auswege zu suchen.
    »Du musst doch überhaupt nicht ins Meer … oder mit dem Meerwasser in Berührung kommen. Es steigt doch hoch, das Quellwasser, es ist wie ein … Trichter, nicht wahr?« Kersted blickte hoffnungsvoll zu Utate, sie ließ ihn ruhig ausreden. »So habe ich das wenigstens verstanden: Eine Beridh Oroda entspringt am Meeresgrund, das Wasser steigt in einem Strom auf und schwimmt dann als See auf den Wogen.«
    »Das stimmt, so ist es«, sagte Utate. »So ist es, wenn alles in Ordnung ist. Aber, Kersted, du weißt es: Nichts ist mehr in Ordnung.«
    »Sie ist schon zu schwach«, sagte Kersted tonlos und setzte sich auf ein zu einer dicken Rolle zusammengelegtes Tau. »Die Quelle versiegt. Deshalb haben wir so lange gebraucht, um sie zu finden.«
    »Das Feuer fließt nicht nur unter dem Kontinent, es fließt auch unter dem Ozean. Die Urkräfte wirken überall, zu jeder Zeit.«
    » Ich werde gehen.«
    Nun war Utate überrascht. Sie wurde sogar ärgerlich; etwas, das Kersted bei ihr noch nie erlebt hatte.
    »Kersted, mach dich nicht lächerlich. Du willst selbst sterben, um mich vorm Tod zu erretten?«
    Er sprang auf.
    »Warum nicht? Du bist doch viel wichtiger als ich!«
    Mit einem Blick auf die mittschiffs stehende Nendsing, die an den Rädchen des Sechsteilers drehte und ihre Position bestimmte, sagte Utate: »Diese Meinung wird nicht jeder teilen. Außerdem solltest du die Haltung der Undae inzwischen kennen, Kersted: Jedes Leben ist die Mühe wert. Deine Existenz gegen meine zu stellen ist nicht im Sinne dessen, weswegen wir aufgebrochen sind. Aber abgesehen von all dem   – du kannst es nicht schaffen, Kersted, du kannst nicht bis zur Quelle vordringen. Es ist zu tief.«
    Sie trat nah zu ihm und ihre kühle Schönheit rührte ihn wie so oft. Er verehrte diese Unda, er würde alles für sie tun, sie war ihm Mutter und Schwester, Herrin und Freundin   – alles. Das Band, das sie zwischen sich und Kersted gespannt hatte, war tief verankert. Es war undenkbar, dass sie sich von ihm lösen würde. Das durfte nicht sein. Er schluckte, konnte nichts sagen.
    »Du musst mir glauben, Kersted: Ich hatte gehofft. Ich bin zwar nicht unvorbereitet auf das, was nun kommt. Es war mein Entschluss und mein Wunsch, diese Quelle aufzusuchen; die anderen Undae haben nach langem Zweifeln zuletzt eingewilligt. Aber ich hatte gehofft, es würde genügen, vom Boot aus einige Tropfen ins Wasser zu geben   – allenfalls kurz ins aufsteigende Quellwasser zu tauchen, um den Hütern zu begegnen, die niemals an die Oberfläche kommen. Sie hätten mich geführt und beschützt. Ich fürchte jedoch, sie sind fort. Sie haben die Quelle bereits verlassen. Im Salzwasser können sie nicht lange überleben.«
    » Die Hüter?«, fragte Kersted rau.
    »Ja, erstaunliche Wesen. Sie sind ein Schwarm. Sie sind lebendige Harmonie.«
    Utate lächelte und Kersteds Seele schwankte. Ihm wurde wieder übel, das war schlimmer als die Seekrankheit, er musste sich wieder setzen. Es war wirklich wahr, es geschah jetzt, in diesem Moment: Utate verließ ihn. Ihn und die Welt, sie alle. Der Tod ist groß. Smirn hatte es gesagt und jedes Mal, wenn er sich an die Worte der strengen Unda erinnerte, begriff Kersted eine neue Dimension dieses kurzen, schlichten Satzes. Aber Smirn war nicht die Einzige gewesen, die ihn auf einen solchen Moment hatte vorbereiten wollen. Kersted sprach leise die Worte des Szasrans vor sich hin:
    » Drei gehen,
    nur zwei bestehen.
    Drei wurden auserwählt, das Schicksal zu wenden,
    nur zwei vollenden.«
13
    »Wenn doch die Quelle ohnehin schon versiegt, dann muss … dann kann …« Nendsing beendete den Satz nicht, machte eine hilflose Geste und drehte sich weg.
    Ihr waren unmittelbar die Tränen in die Augen gestiegen, als Kersted mit heiserer Stimme verkündet hatte, Utate müsse ins Wasser tauchen und werde wahrscheinlich nicht zurückkehren. Nicht nur

Weitere Kostenlose Bücher