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Zwölf Wasser

Zwölf Wasser

Titel: Zwölf Wasser Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: E. L. Greiff
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wie spät es war und wo sie sich befanden. Und das mit einer Genauigkeit, die Kersted verblüffte. Der Kapitän tat zwar noch so, als ob er den Kurs angeben würde, in Wahrheit hatte aber längst Nendsing die Navigation übernommen. Dennoch war es ungleich schwieriger, hier draußen auf See eine Quelle zu finden als an Land. Immer wieder nahmen sie Proben aus dem Wasser. Es blieb salzig.
    »Die Seeleute kennen die Quelle«, sagte Nendsing. »Sie ist eine willkommene Gelegenheit, um Süßwasser aufzunehmen, ohne dass man einen Hafen ansteuern muss. Die Stelle ist auf den Seekarten verzeichnet. Wir müssen ganz in der Nähe sein. Aber wir finden sie einfach nicht.«
    »Vielleicht hat sich eine Strömung verändert«, meinte Kersted und schaute über das dunkle Deck nach vorn. Utate stand als im Sternenlicht glänzender Schemen am Bug. Ihr schönes Gesicht verfinsterte sich von Tag zu Tag und sie sprach nur noch wenig. Alle einte die Sorge, dass die Quelle bereits versiegt sein könnte, doch niemand sprach es aus. Auch Nendsing nickte nur und lächelte schwach.
    »Also, willst du wissen, wie spät es ist?«, fragte sie und hieltden kleinen Himmelsnehmer hoch, den sie an einer Kette bei sich trug. »Die ehrwürdige Gilmen hat ihn mir geschenkt   – sie leitet die Hama, du erinnerst dich   –, als ich meine erste größere Abhandlung über den Fürsten des Ostens verfasst hatte.«
    »Welchen Fürsten?«
    »Des Ostens   – ein Sternbild.« Sie schaute hoch. »Das übrigens an den Welsenkönig Farsten erinnert und an seine Familie. Es sind drei Sterne, in einer Linie. Farsten ist der hellste. Da! Siehst du ihn?«
    Kersted versuchte, ihrem Fingerzeig zu folgen.
    Sie erklärte weiter: »Dort siehst du einen Haufen kleiner, schwacher Sterne, das sind die Lykorien, man braucht ein Fernglas, um sie genauer zu betrachten. Nun, nicht so wichtig; etwas darunter strahlt jedenfalls Farsten, in kurzer Entfernung die Sterne Efrid und Farled. Das ist der kleinste, dort.«
    Kersted strengte sich sehr an und sah in der Masse funkelnder Lichtflecken dennoch nicht, was sie meinte. Dabei verstärkte das Starren auf einen Punkt am Himmel, während es unter ihm sanft schwankte, die Übelkeit wieder. Er senkte den Blick.
    »Dein Himmelsnehmer«, lenkte er ab, »wie funktioniert der nun? Ich dachte immer, das sei ein Schmuckstück.«
    Nendsing lachte auf.
    »Ja, das ist er   – auch. Eine schöne Arbeit.« Sie hielt den metallenen runden Gegenstand auf Augenhöhe. »Er muss lotrecht hängen und sollte möglichst nicht pendeln … Das ist an Land einfacher oder mit dem großen, den die Kwother hier an Bord haben. Der ist viel schwerer und sehr genau. Wie auch immer: Um die Zeit zu bestimmen, suche ich mir einen Stern am Himmel, der hell ist und den ich gut kenne, beispielsweise Panope. Ich drehe diesen Zeiger am Himmelsnehmer, und zwar so, dass ich, wenn ich ihn ans Auge halte, darüber den Stern sehe. Ich peile ihn also an. Dann lese ich auf der Skala den Winkel ab und weiß, wie hocher steht. Dabei muss ich nur im Kopf haben, ob der Stern in der östlichen oder westlichen Hälfte des Himmels liegt; ob er also gerade aufsteigt oder sinkt. Dann drehe ich diese wie ein verschnörkeltes Gitter gearbeitete Scheibe so, dass Panope, der durch diesen kleinen Zacken dargestellt wird, an der richtigen Stelle ist   – nämlich auf der Linie, die in die Hintergrundscheibe eingraviert ist und dem Winkel entspricht, den ich im ersten Schritt gemessen habe. Dann kann ich auf der Skala am Rand ablesen, welche Stunde wir haben. Das wär’s, ganz einfach!«
    Sie strahlte ihn an. Kersted musste sich gut überlegen, was er nun sagte.
    »Nen, du wirst mir das noch viele Male zeigen müssen, das ist dir bewusst, nicht wahr?«
    »Ich bin keine gute Lehrerin. Es tut mir leid.«
    Sie ließ das messingglänzende Gerät sinken.
    »Was hältst du davon, wenn wir zum Schiffsführer gehen?«, fragte Kersted. »Dort kannst du mir das noch einmal am großen Himmelsnehmer vorführen. Und mir auch die Seekarten erklären oder den Sechsteiler, den Nordweiser und was es dort noch alles gibt. Wir haben die ganze Nacht Zeit   – ich bin sehr ausgeruht und zudem glaube ich, dass ich heute doch noch nicht sterben muss.«
    Nendsing lächelte und im schimmernden Licht der allerschönsten Nacht war Kersted sich ganz sicher, dass sie ihn auch liebte.
11
    Der folgende Morgen brachte frischen Wind und einen von schnell ziehenden grauen Wolken verhangenen Himmel. Erst als es

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