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Zwölf Wasser

Zwölf Wasser

Titel: Zwölf Wasser Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: E. L. Greiff
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aufwändiges Unterfangen. Marken musste daran denken, wie schon der Aufbruch des Trecks die graue Stadt am Berg jedes Solder aufs Neue durcheinanderbrachte. Dabei waren die Welsen so wenige und Goradt war so ärmlich, so klein, so leer im Vergleich zu Gem-Enedh. Und Jirdh erst   – die Hauptstadt der Kwother würde bersten vor Menschen, wären schließlich alle dort angelangt. Das erwähnte Marken gegenüber Smirn, als man sie mit kleinen, gefüllten Brottaschen sowie einem heißen Gebräu versorgt hatte und sie endlich unter sich waren.
    »Nein, da irrst du dich«, antwortete Smirn. »Jirdh kann viele Menschen fassen. Und schützen. Jirdh ist eine gewaltige Festung, die ständig erweitert wurde, viele hundert Soldern lang. Das Volk zu behüten und alle Unbill von ihm fernzuhalten war seit jeher das höchste Ziel der kwothischen Herrscher. Niemals ging es um die Unterwerfung anderer   – hierin unterscheiden sich Welsen und Kwother   –, sondern immer nur ums Bewahren. Das mag sich seltsam anhören, wo doch die Kwother so tief in die Geschehnisse der Feuerschlacht verstrickt sind. Aber aus kwothischer Sicht war die Vernichtung der Welsen nichts anderes als das Bewahren des Friedens im eigenen Land. Farsten, letzter König der Welsen, stand mit einer unbezwingbaren Streitmacht am Ufer des Eldrons und war bereit, Pram zu überrennen. Und wäre ihm das gelungen, wären die Kwother die nächsten gewesen, die er unterworfen hätte. So jedenfalls hat man das damals hier in diesem Land gesehen und ist deshalb der Allianz gegen die Welsen beigetreten.«
    »Smirn, ich weiß, dass der Krieg viele Gesichter hat. Ich weiß auch, dass sie alle hässlich sind.« Marken nahm einen Schluck. Der dunkle Sud war so süß, dass es an den Zähnen schmerzte. Während Smirn in dem engen Raum auf und ab ging, saß Marken auf einem flachen Bodenkissen. Er sah zu ihr auf. »Mich interessiert aber momentan nicht die Vergangenheit, sondern dieser Krieg hier. Und dieser Hauptmann. Was geht hier vor? Was ist dieser Ormn für ein Mann? Mir jedenfalls sagen meine Instinkte, dass man seine Gesellschaft besser meidet.«
    Marken war ungeduldig, beinahe ungehalten. Durch den schmalen Fensterschlitz schien keine Luft ins Zimmer zu gelangen, sondern nur Lärm.
    »Dieser Krieg ist ein Bruderkrieg. Und Hauptmann Ormn ist ein Dhurmmet , ein Veteran.«
    Mehr gab es dazu nicht zu sagen? Marken spürte, wie geladen er war, kurz davor, den Respekt zu verlieren. Aber dann traf ihn Smirns Blick und er sah Furcht in den Augen der Unda. Er konnte verstehen, dass Smirn sich sorgte. Aber Furcht war etwas ganz anderes   – das hatte er bei der Unda bisher nie gesehen. Ein solcher Schreck fuhr Marken in die Glieder, dass alle Ungeduld von ihm abfiel und er nur noch mit offenem Mund zuhören konnte.
    »Ich sprach nicht ohne Grund über die Vergangenheit«, begann Smirn wieder, die Stimme noch rauer als sonst. »Und ich weiß, dass du nach Erklärung verlangst, Marken; du hast auch ein Recht darauf. Aber ich muss erst selbst begreifen, und das fällt mir schwer. Denn in diesem Krieg geht es Kwother gegen Kwother, das ist ungeheuerlich. So etwas gab es noch nie. Nichts ist einem Kwother so wichtig wie die Tradition und groß ist der Stolz desjenigen, der über viele Generationen zurückblicken kann. Das Schützen und das Bewahren, das ist die Natur der Menschen hier. Und nun: ein Bruderkrieg. Die Kwother wollen sich gegenseitig vernichten. Das ist unfassbar.«
    Marken erwartete fast, dass sie die Hände vors Gesicht schlug oder in Tränen ausbrach. Aber Smirn verschränkte nur die Finger und stand still. Sie hatte das Fenster, durch das Marken ihre Empfindungen hatte sehen können, wieder geschlossen.
    »Keine Quelle kann verhindern, dass Menschen einander töten. Eine Quelle ist eine Möglichkeit. Die Möglichkeit zum Frieden, zur Hoffnung, zur Selbstlosigkeit. Die Quelle der Friedfertigkeit ist nicht die Gewähr dafür, dass diese Welt vom Krieg verschont bleibt. Aber ihr Sprudeln sorgt dafür, dass die Idee des Friedens in den Herzen der Menschen lebendig bleibt. Verstehst du, Marken?«
    Er nickte langsam. Wäre erst die Vorstellung vom Frieden aus allen Herzen verschwunden, würden die Kriege endlos sein. Nein, nicht endlos, widersprach Marken sich in Gedanken: Mitdem letzten Schwerthieb, dem letzten Axtschwung wäre es vorbei   – vorbei mit der Menschheit. Einer würde vielleicht übrig bleiben, der letzte Kämpfer, der letzte von allen … aber ein Mensch

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