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Zwölf Wasser

Zwölf Wasser

Titel: Zwölf Wasser Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: E. L. Greiff
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dabei, die dicken Seiten eines Buchs in feine Streifen zu reißen; zwei Frauen schälten irgendwelche Knollen und warfen sie in einen Topf über der Feuerstelle, eine dritte stillte ihren Säugling. Drei oder vier weitere kleine Kinder schliefen auf einem Lager am Boden, es war ein Wust aus Decken und Lumpen.
    Weder Frauen noch Kinder zeigten eine besondere Regung, als Helgend mit Reva und Felt eintrat. Aber den abweisenden Stolz, der ihm hier entgegenschlug, kannte Felt nur zu gut: Eswar der Trotz unschuldig Verarmter. Er wusste, dass man sie aus den Augenwinkeln und unter gesenkten Lidern genau beobachtete. Der alte Mann forderte sie mit einer Geste auf, ihm zu einer steilen Treppe zu folgen; auch er versuchte, Frauen und Kinder nicht zu beachten. Doch Felt hatte längst begriffen, dass es so nicht ging: Seine Mitmenschen zu missachten war wie dem Dämon zu huldigen. Er war zwar in Eile, aber so viel Zeit hatte er doch, so viel Zeit musste er haben. Also stellte er das Bündel, das er auf dem Rücken trug, auf dem Tisch ab und begann es aufzuknoten. Unter dem Tisch war es still geworden, keiner heulte, keine schwere Kugel rollte. Ein Lächeln zuckte über Felts schmale Lippen. Dann brach er ein Stück Brot ab, hielt es ohne hinzusehen unter die Tischplatte. Vorsichtig nahmen kleine Finger es ihm ab. Nun stand eine der Frauen auf.
    »Spuck das aus!«, sagte sie scharf.
    Felt hielt noch ein Stückchen Brot hin, diesmal wurde es ihm gleich aus der Hand gerissen.
    »Kannst du nicht hören?« Sie kam einen Schritt auf Felt zu, zögerte dann aber. Allmählich verbreitete sich der süße Duft des Lindnussbrots im Raum, die dunklen Augen der Frau flackerten unsicher. Reva streifte ihre Kapuze ab; der Frau entfuhr ein erstaunter Laut, sie senkte den Kopf, fuhr sich über die Stirn.
    »Lass die Kinder etwas essen«, sagte die Unda. »Ihr alle solltet von dem Brot essen, es wird euch guttun. Und du, mein Junge, lässt jetzt das Buch zufrieden und hilfst deinen Tanten Ordnung schaffen. Bloß weil alles schlimm ist, muss es nicht auch noch schlimm aussehen.«
    Wie vom Donner gerührt saß der Junge da und starrte Reva an. Dann nickte er.
    »Nun denn, führt uns nach oben, Helgend«, sagte Reva und Felt folgte den beiden.

11
    Felt musste in der Tür stehen bleiben, in der Kammer war kein Platz mehr für ihn. Helgend fuhr sich nervös durch die Haare, die weiß, spärlich und feucht waren und ihm deshalb wie Stacheln vom Kopf abstanden. Dann, noch bevor der alte Mann etwas sagen konnte, begann das Haus mit einem Mal zu schwanken. Es war Felts erstes Erdbeben und er erschrak, hielt sich am knirschenden Holz des Türrahmens fest. Helgend umarmte einen großen Glaskolben, als sei dies seine Geliebte, und schützte das Gefäß vor herabfallenden Büchern. Reva stand ganz ruhig und nach wenigen Atemzügen war es vorbei.
    »Das war nicht das erste«, sagte Helgend und raffte Papiere zusammen, versuchte, mit fahrigen Bewegungen so etwas wie eine Ordnung herzustellen. Es gelang nicht, er gab auf. Plötzlich füllten seine Augen sich mit Tränen. »Und es wird nicht das letzte Beben gewesen sein. Alles bricht zusammen … verzeiht, ich bin …« Mit zitternden Händen wischte er sich über die Augen.
    »Was könnt Ihr uns berichten?«, fragte Felt. »Fasst Euch kurz.« Wenn Babu nicht hier war, durften sie sich nicht weiter aufhalten. Felt spürte die Wut über sich selbst in seinen Eingeweiden rumoren.
    »Ja, ja sicher.«
    Helgends gerötete Augen huschten von Felt zu Reva, die aufmunternd lächelte.
    »Ich bin zu Beginn dieses Lenderns also nach Agen gereist, weil ich Nachforschungen anstellen wollte im Auftrag … eines Kollegen. Ich bin aber nicht in die Stadt hineingekommen: Agen ist verschlossen. Ganz und gar abgeriegelt. Nichts und niemand kommt dort hinein   – aber vor allem gelangt nichts nach draußen. So etwas gab es noch nie.«
    Aus dem fernen Süden Zorn: Wütendes Brodeln und Kreischen in Gefangenschaft.
    Felt atmete langsam aus, als er sich an diesen Teil der Botschaft erinnerte, ließ sich aber sonst nichts anmerken. Mit der Erinnerung brandete jedoch auch die Woge der Angst durch Felt. Wieder hörte er den Chor der Undae: Etwas geht vor! Eile! Es hatte so dringlich geklungen, dass die Offiziere damals am liebsten gleich aus der Grotte gestürmt wären. Hier und jetzt ruhig stehen zu bleiben kostete Felt noch unvergleichlich viel mehr Überwindung als am Ufer des dunklen Sees.
    »Redet weiter«, sagte er

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