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Zwölf Wasser

Zwölf Wasser

Titel: Zwölf Wasser Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: E. L. Greiff
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finstere, stille Sterben. Drei mal drei sollen gehen und dreimal eine begleiten, die Quellen aufzusuchen.
    » Etwas geht vor. Eile! «, sagte Marken halblaut und Smirn ließ ihre Hand sinken.
    Es gab nur einen Weg und nur eine Richtung. Sie mussten das Wasser des Sees zu den Quellen, zu den Anfängen bringen. Sie durften nicht zurück. Marken sah die silberne Kette um Smirns Hals; die Phiole war unter ihrem Gewand verborgen. Aber sie war da, genauso wie der kleine Lederbeutel um seinen eigenen Hals, mit dem Wasser von Torviks Quelle.
    »Wir haben einen Auftrag auszuführen«, sagte Marken, während er auf seine Soldaten zuging, und das erste Mal an diesem Morgen hörte sich seine Stimme auch wie seine an. »Und dieser Auftrag besteht nicht darin, Feiglingen nachzulaufen. Wir reiten weiter. Wer mir nicht mehr folgen will, braucht sich nicht nachts davonzustehlen, sondern ist hiermit aller Pflichten entbunden. Geht nach Hause, wenn ihr wollt.«
    Strommed sprang als Erster in den Sattel. Lenkte sein Pferd in die Richtung, in die es weiterging. Tat keinen Blick zurück. Ohne lange zu zögern, saßen auch die anderen auf; es waren nur noch vier. Der Trotz in ihren Gesichtern richtete sich nicht gegen Marken, auch sie starrten nur nach vorn. Er selbst stieg ebenfalls auf, die Kwother waren bereits losgetrabt. An den Sätteln dreier Dhurmmets sah Marken lederne Beutel hängen. Sie waren recht groß   – ein halbes Schwein hätte hineingepasst   – und anscheinend auch schwer. Er wunderte sich, dass ihm die vorher nicht aufgefallen waren.
17
    Abends gab es Fleisch. Sie hatten den sterbenden Wald verlassen, aber hinter der nächsten, lang gezogenen Bodenwelle lag wieder dunkles Grün. Bis sie dort am nächsten Morgen würden hineinreiten müssen, konnten sie es sich verhältnismäßig bequem machen: Ein alter Stützpunkt, kleiner als der erste nahe Gem-Enedh, war ihr Nachtquartier. Hier gab es keine Besatzung, vielleicht war der Stützpunkt strategisch unbedeutend geworden. Marken saß im Freien auf einer Bank, streckte die Beine unter einen wackligen, verschmutzten Holztisch und war dankbar für diese schlichten Zeichen menschlicher Zivilisation.
    Ormns Sohn, dem die Tagesritte zusetzten und der sehr alt und gebrechlich wirkte neben seinem jung gebliebenen Vater, war mit der Essensausgabe beschäftigt. Er wurde von den Dhurmmets wie ein Laufbursche behandelt   – was Marken missbilligend beobachtete, obwohl er wusste, dass die Veteranen, die Todessehnsüchtigen, die Älteren waren. Die Welt war verkehrt in Kwothien. Ormns Sohn schöpfte den Soldaten, die sich in einer Reihe aufgestellt hatten, Fleischeintopf in Holzschalen. Einige machten sich schon im Gehen darüber her. Auch Marken war hungrig, aber das Sitzen schien ihm im Augenblick verführerischer als das Essen. Erst recht wollte er nicht anstehen. Smirn wanderte entlang der Holzwand einer Unterkunft auf und ab. Hatte Marken sie jemals an einem Tisch sitzen sehen? Nein, die Unda brauchte weder Nahrung noch Tisch und Stuhl, diese Vehikel menschlicher Kultur. Und doch waren die Menschen ihre einzige Sorge. Wie sie da auf und ab ging, während die Männer schlürfend und schmatzend über ihren Schüsseln hingen, war Smirn die einzige, die wirkliche Wache. Sie war die Wächterin aller. Ein paar Deserteure kümmerten sie nicht, sie dachte viel größer. Seit Langem hatte sich Marken der Unda nicht mehr so nah gefühlt. Er würde sie begleiten, er würde dafür sorgen, dass sie die Quellen so schnell wie möglich erreichte. Es konnte nun nicht mehr weit sein, sie kamen schnell voran. Er sah auf seine großen Hände und schwor zum wiederholten Male, Smirn mit seinem Leben zu beschützen.
    Jemand sprach ihn an, Marken hob den Kopf. Ormns Sohn war an den Tisch getreten, eine dampfende Schale in der Hand, den Blick gesenkt.
    »Ich danke Euch«, sagte Marken.
    Der Alte stellte die Schale nicht ab, sie zitterte in seinen Händen. Dann gab er sich einen Ruck und knallte sie vor Marken auf den Tisch.
    Marken versuchte ein Lächeln. In der wässrigen Suppe schwammen nur wenige graue und zerkochte Brocken. Ein Welse war auch damit zufrieden, Marken nahm den Löffel.
    Die dunkle, sehnige Hand des alten Mannes packte Markens Arm und zum ersten Mal sah er ihn direkt an: In den von Falten umrahmten, aber wie bei jedem Kwother goldglänzenden Augen stand etwas, das Marken nicht sofort deuten konnte. Dann erkannte er das Flehen, sah, dass dem Alten beinahe die Tränen kamen: Ormns

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