Zwölf Wasser
mit dir die Sterne anschauen und Marken musste mit dem Kartenmacher in den Keller, in diese Unterstadt. Und Felt sogar ins Theater! Nur hast du leider ziemlich geheimnisvoll getan. Ich glaubte, dieser Stern müsse ein Zeichen sein. Für die Katastrophe, die dem Kontinent bevorsteht. Für das Versiegen der Quellen.«
Er leckte sich über die Lippen. Sein eigener Satz hatte ihn erschreckt.
»Hast du mit jemandem über den Stern gesprochen?«
»Natürlich. Ich habe meinen Kameraden davon erzählt. Und wir waren uns einig, dass ein solcher Stern über Agen eine Bedeutung haben muss. Denn das deckte sich mit dem, was die Undae uns gesagt haben. Aus dem fernen Süden Zorn: Wütendes Brodeln und Kreischen in Gefangenschaft …« Er brach ab.
Ein Gefangener – also ein sehr großer und sehr wütender Gefangener . Unter dem Stein. Unter der Erde. Und der reißt nun alles entzwei. Den ganzen Kontinent .
»Es gibt keinen solchen Stern.«
Sie hatte den Satz mehr gehaucht als gesprochen. Nendsing schlang die Arme fest um ihren Körper, hob das Kinn und sprach dann wie ein Soldat, der Meldung macht: »Es wird kein Schweifstern am Himmel über Agen erscheinen. Die Berechnungen waren gefälscht. Die Astronomin wollte Aufmerksamkeit und brauchte Ergebnisse. Sie hat das Interesse nach oben gelenkt. Sie dachte nichts Böses, sie hat ihr Leben lang in den Himmel geblickt und nie nach unten. Aber dort unten ist Asing. Im Feuer, das in der Erde fließt. Sie schaut nicht von oben auf uns herab und sie ist nicht gütig. Sie ist tief unter uns und sie tobt.«
7
In seiner kurzen Rede an die verbliebenen Reisenden erwähnte Kersted den Stern mit keinem Wort. Er sprach von Fanders Eingebung, was den Kameraden dazu veranlasste, sich ausführlich den Nacken zu reiben und dabei den Blick zu senken. Der Koch hörte mit offenem Mund und weit geöffneten, von blaugrünen Blutergüssen gerahmten Augen zu. Er sah aus wie ein finsterer Nachtvogel. Kersted schloss mit den Worten »Und auch Nendsing ist überzeugt: Diese Asing ist der Grund für die Beben.« Da erst hob Utate, die reglos gelauscht hattte, den Kopf und strich sich die Kapuze aus der Stirn. Ihre Augen waren fast vollständig schwarz, die Narben auf dem Schädel hingegen traten weiß hervor. So hatte Kersted sie noch nie gesehen. Nendsing wich einen Schritt zurück. Utate streifte sie mit einem dunklen Blick.
»Eine Astronomin erklärt Erdbeben. Führt sie auf das Wirken einer Person zurück, die seit über hundert Soldern tot ist. Ein welsischer Soldat hat Eingebungen und sein Offizier glaubt ihm. Habt Ihr auch noch etwas beizutragen, Glaron?«
Der schmächtige Mann hielt den großen Löffel umklammert wie ein Schwert. Glaron hieß er also – für Kersted war er immer nur ›der Koch‹ gewesen und gesprochen hatte er bisher auch nicht. Wenigstens nicht mit Kersted. Utate aber gab er Antwort – und er sprach dabei ein erstaunlich gutes Welsisch: »Ich kenne die Legende von Asing, Hohe Frau, jeder kennt sie, die offizielle Version, die aus dem Theater. Aber ich weiß auch von der anderen. Und von Asli, wie sie sich ihrer Schwester entgegengestellt und sich selbst angezündet hat. Im Hause meiner Herrin, meiner früheren Herrin, wurde oft von ihr erzählt. Herr Wigo hat immer wieder davon gesprochen, in letzter Zeit fast nur noch. Und Herr Wigo hat mir Bücher mitgebracht, die meisten sogar selbst geschrieben! Er weiß meine Kunst sehr zu schätzen, hat oft in meiner Küche gesessen. Nun, er hat mir verboten, mit irgendwem darüber zu sprechen, aber … Aber Herr Wigo ist davon überzeugt, dass Asing ins Feuer gegangen ist und da auch jetzt noch ist. Und wenn Herr Wigo das sagt, dann muss es ja stimmen.«
»Habt Ihr die Bücher mitgenommen?«
»Meine Rezeptbücher und Notizen, die habe ich mitgenommen.« Er senkte den Blick, rührte heftig in seinem Topf.
Utate schwieg.
Kersted versuchte, einfach nur still dazustehen. Wigo? Dieser Übersetzer? Der war es doch gewesen, der Felt die Version der Feuerschlacht erzählt hatte, in der Asing ein Dämonenheer auf die Welsen hetzte und ihre Schwester Asli sich opferte. Felt glaubte nicht an Dämonen, Marken schon. Kersted hatte im Grunde keine Meinung dazu, Dämonen waren ihm so lange egal, wie er nichts mit ihnen zu tun hatte. Nun aber schien er eine ganze Menge mit einem Dämon zu tun zu haben. Mit einem Dämon namens Asing. Einem gewaltigen Dämon, der Kersted seine Soldaten entrissen hatte. Der ihn beinahe selbst in die
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