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Zwölf Wasser

Zwölf Wasser

Titel: Zwölf Wasser Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: E. L. Greiff
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großen Platz gestellt, damitalle mich sehen   – auch der Fürst! Und wie ein faules Stück Fleisch habt Ihr mich dann neben Kandor gesetzt, damit er sich im Ekel abwendet. Denkt Ihr, es ist mir angenehm, solche Blicke zu erdulden? Solche Ablehnung zu ertragen? Es hat mich verletzt, ich war wütend!«
    Belendra schwieg weiterhin und hörte nicht auf zu lächeln. Sie ging von Käfig zu Käfig und steckte seelenruhig Obststückchen zwischen die Stäbe. Eine friedvolle Dämmerstimmung erfüllte den großen Garten, aber auch das konnte Estrid nicht besänftigen.
    »Warum? Sagt es mir, Belendra! Sagt mir, warum Ihr das tut! Warum benutzt Ihr mich, um Zwietracht zu säen? Einfach so, weil es Euch Freude macht? Nun soll ich sogar an den Bränden schuld sein, das ist doch ungeheuerlich. Nie wird meinem Volk Gerechtigkeit widerfahren, niemals! Pram hasst die Welsen und ich, ausgerechnet ich, habe auch den letzten Einwohner der Stadt wieder daran erinnert!«
    Nun war es so weit: Estrid weinte. Sie schluchzte wie ein Kind, das vor der riesenhaften Ungerechtigkeit der Welt kapituliert.
    »Ihr müsst endlich begreifen, Estrid, dass zwischen dem, was die Bürger von Pram denken, und dem, was Pram denkt, ein Unterschied besteht.«
    Belendra reichte Estrid ein Stückchen Obst und steckte sich selbst eins in den Mund. Sie kaute, hob eine Augenbraue und fuhr fort: »Bei Euch dort oben in den Randbergen mag das anders sein, aber hier gilt Folgendes: Der Fürst ist Pram. Mendron ist der alleinige Herrscher, er ist Pram in Person und sein Wort ist Gesetz. Es gibt einen Rat, es gibt einige Leute, die durchaus meinen, dass sie in dieser Stadt etwas zu sagen haben. Letztlich ist aber alles ohne Belang   – es geht nur und ausschließlich um den Fürsten. Und Mendron denkt nicht schlecht von Euch, Estrid,ganz und gar nicht. Deshalb denkt auch Pram nicht schlecht von Euch. Es gibt also gar keinen Grund zur Aufregung.«
    Estrid erinnerte sich an das Buch, in dem sie über den Herrscher gelesen hatte. Er sei immer beides, hatte es dort geheißen: leibhaftiger Mensch und Idee des Herrschens. Die Untertanen glaubten an diese Idee und daraus bezog der Herrscher seine Autorität   – der Fürst war Fürst, weil alle ihn als solchen sahen.
    »Ich habe ihn zutiefst beleidigt«, sagte sie schwach. »Ich habe mich seinem Befehl widersetzt, ihm die Herrscherwürde abgesprochen.«
    »Dann entschuldigt Euch«, sagte Belendra leichthin.
    »Wie das?«
    »Nun, Estrid, Ihr werdet in Eurem Leben schon einmal um Verzeihung gebeten haben, oder?«
    »Ich werde doch niemals vorgelassen! Ich kann nicht zu ihm.«
    »Das müsst Ihr auch nicht«, Belendras Lächeln verbreiterte sich, »denn der Fürst kommt zu Euch. Das überrascht Euch? Nun, mich nicht. Er ist ein Mann, oder? Männer sind berechenbar, und auch ein Fürst ist ein Sklave seines Geschlechts.«
    Estrid war sprachlos. Was war sie, eine Art Köder? Wollte Belendra den Fürsten fangen? Wozu?
    »Es ist immer wieder eine Freude, Euch beim Denken zuzuschauen«, sagte Belendra. »Erlaubt dennoch, dass ich Euch ein wenig auf die Sprünge helfe: Sardes ist hinter den Stein gegangen, Mendron hat seinen treusten Beschützer verloren. Das ist sehr bedauerlich, aber keine Überraschung. Daher haben sich bereits alle in Stellung gebracht, vorneweg Kandor und Samirna. Er, weil nichts seinen Machthunger stillt außer noch mehr Macht. Sie, weil nur Fürstin zu sein ihre unermessliche Geltungssucht befriedigt. Seht Ihr, Estrid, es sind die niederen Gelüste, die die Menschen antreiben … mich eingeschlossen. Mich dürstet nach Rache.«
    Für einen Augenblick verschwand das Lächeln aus ihrem Gesicht und sie sah müde aus.
    »Ich will nur eines, Estrid: Kandor schaden. Ich will, ich muss den Fürsten seinem Einfluss entziehen. Kandor ist bereits jetzt der zweitmächtigste Mann in Pram. Ich muss den mächtigsten Mann nach Kräften unterstützen, damit der andere ihn nicht vom Thron reißt. Ich muss Mendron so lange oben halten, bis diese Krise überwunden ist.«
    »Und ich bin also dazu da, den Fürsten zu Euch zu locken? An Euch zu binden?«
    Estrids verzweifelte Traurigkeit verflüchtigte sich mit jedem Wort, das Belendra sprach. Sie hatte sich nicht eingebildet, dass die reiche Pramerin Zuneigung für sie hegte. Aber ins Gesicht gesagt zu bekommen, dass sie nur eine Figur in einer Intrige war, das traf Estrid doch.
    Belendra sah Estrid aufmerksam an, sie hatte die Kühle in Estrids Stimme gehört. Doch sie

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