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Zwölf Wasser

Zwölf Wasser

Titel: Zwölf Wasser Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: E. L. Greiff
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im Gesicht. Samirna wandte sich ab. Es wäre besser, sie bereitete sich auf die Vorstellung vor, statt die Fürstin zu proben. Sie raffte den Seidenmantel über der Brust zusammen, darunter trug sie bereits ihr grau glänzendes Bühnenkostüm. Es wurde immer noch Die Feuerschlacht aufgeführt; die Inszenierung war bereits jetzt legendär und der Publikumsandrang so groß, dass man das Stück nicht nur zur Kremlid und den Haf-Feiern ansetzte, sondern auch darüber hinaus im Spielplan behielt.
    Samirna durchmaß wieder mit schnellen Schritten ihre Garderobe   – ein stilvoll möblierter, großer, aber fensterloser Raum tief im Bauch des Theaters   – und sagte leise ihren Text auf.
    » Palmon, edler Fürst von Pram, ich trete hier vor Euch hin und bringe gute Nachricht … ach, nein. Nein!«
    Alles falsch, keine Haltung, kein Gefühl! Es ging nicht umdie Nachricht, nicht um das, was sie sagte. Sondern ums Wie . Mit welcher Absicht trat sie denn vor den Fürsten?
    »Ich will ihn haben. In jeder Geste, jeder Betonung muss mitklingen, wie sehr ich ihn haben will.«
    Die Frau im Spiegel nickte zustimmend und Samirna begann von vorn.
    » Palmon, edler Fürst von Pram, ich trete hier vor Euch hin und bringe gute Nachricht. «
    Na also, es ging doch. Sie streifte den Mantel ab und löste auch die Haarspangen. Nun fand sie immer besser in ihre Rolle hinein: Ihr gegenüber im Spiegel nahm Asing Gestalt an. Sie neigte den Kopf und lächelte gewinnend. Die langen Haare umflossen die schmalen Schultern und in den dunklen Augen der Adeptin funkelte kühn die Intelligenz. Dann, unerwartet, veränderte sich ihre Miene und sie runzelte die Stirn. Als sie sprach, war ihre Stimme ernsthaft besorgt.
    »Du willst doch nicht, dass es dir wie mir ergeht, nicht wahr?«
    Asing kam einen Schritt auf Samirna zu.
    »Ich, die kluge Adeptin, die ach so schöne Frau   – ich war so dumm und habe ihn geliebt. Ich habe alles für ihn getan, ich habe die Streiter der Allianz auf den Sieg eingeschworen. Ich habe den kwothischen Heerführern die Idee eingegeben, den Fluss in Brand zu setzen. Und was war mein Lohn?«
    Asings Augen schimmerten, sie füllten sich mit Tränen. Sie kam noch einen Schritt näher, streckte eine Hand aus, als wolle sie sie berühren.
    »Wir wissen beide, Samirna, dass es mehrere Versionen meines Endes gibt. Eines eint alle diese Enden: die Tragik. Ich bekomme ihn nicht. Ich werde niemals Fürstin. Ich bin entstellt, denn ich habe für ihn gebrannt. Lass dir also von mir raten: Liebe nicht, niemals. Kümmere dich um dich selbst, nicht umandere. Und lass dir nicht von dieser Welsin, diesem ungelenken Riesenweib, den Mann wegnehmen und dich deiner Zukunft berauben! «
    Den letzten Satz hatte sie so heftig herausgeschrien, dass ihr Speichel gegen das Spiegelglas sprühte. Das Klopfen hatte sie überhört.
    »Euer Auftritt, Samirna …«
    Sie fuhr herum. Der Diener wich erschrocken zurück. Er war nicht mehr jung und zeitlebens beim Theater gewesen, aber solche Wut, solchen Hass hatte er niemals zuvor gesehen. Das war keine Schauspielkunst mehr, das war zu wahr   – das konnte nicht mit rechten Dingen zugehen. Er hatte Mirna, die Tausendfache, zu ihrem Auftritt geleiten wollen. Aber in der Garderobe fand der Diener nicht sie, sondern Asing   – glühend, fiebrig und entschlossen, sich das zu nehmen, was ihr zustand: alles. Keiner, der an diesem Abend im Theater war und Die Feuerschlacht sah, sollte die Aufführung jemals vergessen.
14
    Mendron hob den Arm zu einer weit ausholenden Geste.
    »Und dieser arme Fischer, der von den anderen stets verspottet wurde, fuhr schließlich weiter und weiter und immer weiter auf den See hinaus. Er war ganz allein. Er sah keine Ufer mehr, und obwohl er ein wenig Angst hatte   – die Wellen sind hoch so weit draußen und er hatte doch nur ein sehr kleines Boot   –, genoss er es auch. Er fühlte sich frei.«
    Mendron lächelte Estrid kurz an. Sie lauschte hingebungsvoll, die Augen geweitet wie ein staunendes Kind. Sie vergaß, wo sie war und wer er war, denn sie ging immer an die Orte, von denen er sprach. In diesem Moment war Estrid nicht mehrinnerhalb der Mauern von Belendras Garten, sondern in einem schaukelnden Boot draußen auf dem Pramsee   – gemeinsam mit einem unglücklichen Fischer, dessen Netz alle Zeit leer blieb und der deshalb von allen anderen Fischern des alten Pram verlacht wurde.
    »Die Wellen wurden höher, der Wind nahm zu. Das Wasser war stumpfgrau wie Blei und

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