Zwölf Wasser
der Himmel wurde dunkel und drohend. Der Fischer klammerte sich am Holz seines schaukelnden Bootes fest. Das Steuern hatte er aufgegeben. Der Wind und die Wellen trieben ihn über den See, immer weiter weg von Pram, aber er hatte Glück im Unglück und kenterte nicht. Das Wetter schlug wieder um, der Himmel klarte auf und der Fischer sah endlich Land. Nun, wenn man das denn als Land bezeichnen wollte: Er war über den gesamten See gefahren und in den nördlichen Sümpfen angelangt.«
»Und nun?«, entfuhr es ihr. Mendron lachte. Er berührte ihre Schulter, um sie vom Kiesweg zu einer Bank zu lotsen. Sie setzten sich. Estrid nahm die Wärme seines Körpers wahr.
»Und nun? Nun warf der Fischer seine Netze aus«, sagte Mendron. »Deswegen war er schließlich losgefahren – er wollte endlich etwas fangen.«
Estrid hatte eine abenteuerliche Vorstellung von einem Sumpf, die sich ganz auf Mendrons Beschreibung gründete, selbst hatte sie nie einen gesehen. Früher hatte Felt ihr von den Wäldern in der Umgebung der Lagerstadt erzählt. Das hatte Estrids Sehnsucht geweckt, aber nur unbestimmt. Felt hatte zwar sein Bestes getan, um die hohen Bäume und das weiche, farbige Licht zu beschreiben, das unter ihrem Blätterdach herrschte. Doch er war nun einmal kein Mann des Wortes und eine bildhafte Vorstellung wollte sich bei Estrid nicht einstellen. Ganz anders, wenn Mendron erzählte. Dann war Estrid im Sumpf, lief hindurch, fühlte den unsicheren, schwingenden Grund unterihren Füßen und bemerkte, wie ihr Kleid schwerer wurde, weil der Saum sich mit Wasser vollsog. Sie hörte sogar das Platschen ihrer vorsichtigen Schritte, roch den feuchtwarmen, modrigen Geruch – was wollte der Fischer denn in solch einer Gegend bloß fangen?
»Jedenfalls keine Fische«, antwortete Mendron. Estrid hatte die Frage laut ausgesprochen, ohne es zu bemerken. Sie fühlte Röte in die Wangen steigen und sah auf ihre Hände. Während Mendrons Körper Wärme abstrahlte, war die Steinbank kalt.
»Was sonst?«, fragte sie.
»Wollt Ihr das wirklich hören? Die Geschichte nimmt nun eine etwas widerwärtige Wendung.«
»Geehrter Fürst, darf ich Euch erinnern? Ich bin keine Hofdame. Ich bin nicht so leicht zu erschüttern.«
Sie blickte wieder auf und seine blauen Augen waren unerwartet ernst.
»Ganz recht, Estrid«, sagte er heiser, »Ihr seid nicht so leicht zu erschüttern.«
Er räusperte sich, schwieg dann aber. Estrid war kein unschuldiges Mädchen mehr und deshalb wusste sie, dass der Fürst ihr mehr als zugetan war. Doch das fühlte sich falsch an. Mit einem Mal riss das feine Gewebe, in das er sie beide mit seinen Erzählungen eingewoben hatte, und die Wirklichkeit wurde wieder sichtbar. Estrid erhob sich, und höflich, wie er war, stand er ebenfalls auf. Mendron hatte ihr jedwede Ehrerbietung untersagt und meist vergaß sie über seinen Geschichten ohnehin, mit wem sie es zu tun hatte. Aber nun hatte Estrid sie beide wieder daran erinnert: Sie war eine Welsin, war Mutter von zwei Kindern, bettelarm, ungebildet und zudem verdächtig, als böse Zauberin den Untergang Prams zu betreiben. Er war der Herrscher eben jenes Prams, der reichste und mächtigste Mann der Welt. Außerhalb der Mauern dieses Gartens gab es nichts,was sie verband. Er nahm ihre Hand und ballte sie mit sanfter Gewalt zur Faust, dann legte er sie sich aufs Herz.
»Ich muss gehen, Estrid von den Randbergen.«
»Ja.«
»Ich …« Er ließ sie los. Einen Augenblick lang war die Nacht ein samtschwarzer Falter, taumelnd zwischen ihnen, dann flatterte sie davon und zurück blieben nur der Brandgeruch und rote Düsternis.
Estrid öffnete ihre Faust und fand darin einen milchig-weißen Stein an einer Goldkette. Fragend sah sie Mendron an.
»Ein Resolith«, sagte er. »Bitte nehmt ihn als Geschenk; vielleicht wird er Euch ab und zu an mich erinnern.«
Estrid schluckte. Es war also so weit, dieses Mal würde er nicht wiederkommen. Er hatte genug von ihr, der Reiz des Neuen und Fremdartigen war verflogen. Sie schloss die Finger wieder über dem Stein und hob das Kinn, blickte ihn direkt an. Nicht einen Moment sollte er glauben, dieser Abschied mache ihr irgendetwas aus.
»Estrid«, sagte er nur und sie sah ihn einen inneren Kampf austragen. Sie half ihm nicht.
»Estrid«, wiederholte er, verzagter. Er konnte nicht sehen, wie hart ihr Herz schlug. Er atmete tief ein und aus, lächelte dann und sagte: »Ich danke Euch. Dass Ihr hierher in meine Stadt gekommen seid.
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