Zwölf Wasser
des Hohen Rats?«
Belendras Stimme troff vor Hohn.
»Es ist vielleicht alles nicht ganz so, wie Ihr denkt, Belendra.« Nicht Gilmen, sondern Telden gab Antwort; leise, aber bestimmt. Es war selten, dass jemand Belendra widersprach, und Estrid horchte auf.
»Ihr würdet für Gilmen noch Eure eigene Hand aufessen, Telden«, sagte Belendra abschätzig und ging dann zum Angriff über. »Ich frage Euch: Als dieses unsägliche Weibsstück Samirna ihr niederträchtiges Gesuch vorbrachte – hat die erste Vorsitzende es abgelehnt? Oder hat sie sich enthalten , sodass andere im Rat dem Vorschlag freudig zustimmen konnten?«
Sie machte einen Schritt auf die beiden Seguren zu. Gilmen hielt den Blick gesenkt und ließ Belendras Zorn über sich ergehen.
»Hat die kluge, gebildete, allseits verehrte Gilmen sich einmal mehr enthalten und so ermöglicht, dass Aberglaube und Unmenschlichkeit sich durchsetzen? Ich höre keinen Widerspruch, denn ich habe recht. So war es. Ihr, Gilmen, seid letztlich schuld, dass diese Frau der Zauberei beschuldigt und der Stadt verwiesen wird. Sie ist mittellos, Gilmen! Sie hat zwei kleine Kinder, das wisst Ihr! Wo soll sie denn hin? Was ist Eure segurische Neutralität wert, wenn nur Dummheit und Unrecht dabei herauskommen? Die Seguren mischen sich nicht ein? Dass ich nicht lache! Das ist doch alles Irrsinn!«
Der Nachklang von Belendras lauter, tiefer Stimme schwang noch durch die Halle, als Gilmen unvermittelt sagte: »Er dankt ab.«
»Wie bitte? Was habt Ihr gesagt?«
»Hier.«
Gilmen hielt Belendra das Pergament hin; sie riss es ihr aus der Hand.
»Was ist das?«
»Die Abdankungsurkunde«, antwortete Telden. »Mendron ist nicht mehr Fürst von Pram. Er ist von allen Ämtern zurückgetreten und hat die Herrscherwürde abgelegt. Genau genommen, hat er nun nichts mehr, keine Macht, keinen Besitz. Nur sein Leben.«
»Und Mut«, ergänzte Belendra. Sie war völlig verdutzt und verbarg es nicht. Estrid stand regloser als ein Gardist bei Hofe, aber ihr Pulsschlag füllte ihren ganzen Körper. Wie konnte er das tun? Und warum – wegen ihr? War das zu glauben?
Belendra lachte auf.
»Estrid, es scheint, Ihr habt den Mann beeindruckt!«
Dann, plötzlich, wurde sie todernst.
»Er ist in Gefahr. Er hat nur noch sein Leben und auch das nicht mehr lange. Der Machtkampf ist nun offen entbrannt, Kandors große Stunde ist gekommen … Wo ist Mendron jetzt? Wisst Ihr das?«
»Natürlich«, sagte Telden mit einer Spur Überheblichkeit. Er war Belendra voraus und das kam selten vor; die Ereignisse hatten selbst ihre flinksten Spitzel überholt. Er stellte die Geduld Belendras aber nicht lange auf die Probe, sondern erklärte: »Mendron ist in der Hama Enfra. Die Seguren haben sich auf mein Anraten hin entschlossen, ihm Asyl zu gewähren. Dort unten ist er sicher, Kandor wagt sich nicht hinab und seiner Miliz wird der Zutritt verwehrt – noch. Niemand kann sagen, was weiter geschehen wird. Aber wir können Mendron wenigstens eine gewisse Zeit Schutz bieten. Und auch Euch, Belendra. Euch und Frau Estrid von den Randbergen.«
Estrid blickte zu den Soldaten. Hatte ihr Gefühl sie also doch nicht getäuscht. Mendron hatte sie zu ihrem Schutz geschickt.
Belendra, die nervös auf und ab gelaufen war und dabei nicht bemerkte, wie sie das Pergament in ihrer Hand zerdrückte, blieb stehen und sah Telden an.
»Nun wird mir klar, warum man Euch nie in den Rat berufen hat, Telden: Ihr habt Rückgrat. Sardes wäre stolz auf Euch. Den Fürsten aufzunehmen – ja, für mich ist und bleibt er Fürst dieser verfluchten Stadt –, das war die richtige Entscheidung. Man kann auch mit erhobenem Haupt untergehen. Wenigstens darin sollten wir uns an den Welsen ein Beispiel nehmen.«
Sie drehte sich zu Estrid um.
»Wir gehen. Packt nur zusammen, was Ihr unbedingt braucht, und dann holt die Kinder.«
»Was geschieht jetzt?«, fragte Estrid und ihre eigene Stimme klang fremd.
»Was jetzt geschieht, kann niemand mehr wissen«, sagte Belendra und Gilmen wandte sich seufzend ab, sie bebte am ganzen Körper. Belendra beachtete es nicht, sondern sprach weiter. »Pram ist ohne seinen Fürsten nicht denkbar, und doch ist es so gekommen. Es gibt nun keine Pläne mehr – es gibt kein Pram mehr! Wir müssen mit dem Strom der Ereignisse mitschwimmen, wenn wir nicht ertrinken wollen. Doch so weit ist es noch nicht. Zunächst steigen auch wir in die Hama Enfra hinab, die Unter-Hama. Sie ist beeindruckend,
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