Zyklus der Erdenkinder 01 - Ayla und der Clan des Bären
Nur die listigen Augen einer Ratte waren Zeuge.
Als er sich aus der Spalte quälte, sah er Brun, der ihn erwartet hatte.
"Brun", bedeutete der Mog- ur dem Bruder, "ich kann es nicht glauben. Du weißt, ich war nicht mehr in der Höhle seit dem Tag, an dem ich den Fluch verhängt habe. Und niemand war in der Höhle seither. Eben bin ich hineingegangen, um den Bann zu brechen. Doch er war schon gebrochen."
Verwunderung und Ehrfurcht standen in Bruns Gesicht, als er fragte: "Was ist geschehen?"
"Ihr Totem muß es bewirkt haben. Die Zeit ist um, Brun. Ihr Schutzgeist hat den Fluch entkräftet, damit sie zu uns zurückkehren konnte", erklärte der Zauberer.
"Ja, so muß es sein." Bruns Hand deutete einen weiteren Gedanken an, zögerte aber.
"Willst du dich mir mitteilen, Brun?"
"Nur dir allein." Der Clan-Führer zauderte wieder. "Vergib, dass ich zudringlich war vorher. Ich habe in deinen Wohnkreis gesehen. Des Mädchens Rückkehr kam unerwartet."
Nicht nur Brun, alle Clan-Leute hatten diesen Brauch verletzt. Noch nie hatten sie erlebt, dass ein Toter auferstanden war.
"Heute ist eben ein besonderer Tag. Da braucht es dich nicht zu beunruhigen", beschwichtigte der Mog-ur mit kurzer Gebärde den Bruder und wandte sich zum Gehen.
"Das ist es nicht allein, was ich mit dir behandeln wollte", warf Brun ein und legte dem Zauberer eine Hand auf den Arm. "Ich will deinen Rat", der Mog- ur wartete, sah zu, wie Brun nach den erhellenden Zeichen suchte, "zu einer Feier, jetzt, wo sie zurück ist."
"Eine Feier ist nicht notwendig. Die Gefahr hat sich verzogen.
Das Böse ist fort."
"Nicht eine solche Feier."
"Was für eine Feier?"
Wieder gerieten Bruns Hände ins Stocken, schlugen dann etwas anderes vor. "Ich habe zugesehen, wie sie sich dir und Iza mitteilte. Hast du bemerkt, dass sie sich gewandelt hat, Mog ur?"
"Wieso gewandelt?" fragte der Mog- ur mißtrauisch zurück, denn er wusste nicht, was Brun im Sinn hatte, der nochmals anhob zu erklären: "Sie hat ein mächtiges Totem. Droog hat stets behauptet, dass sie das Glück mit sich trägt. Er glaubt, dass ihr Totem auch uns das Glück bringt. Es mag sein. Doch wäre sie niemals wiedergekehrt, hätte sie nicht Glück und mächtigen Schutz auf ihrer Seite. Ich spüre, dass ihr Herz das jetzt weiß. Sie ist sich beider Kräfte sicher. Das ist die Wandlung, die sie im Jenseitigen durchgemacht hat."
"Ja, dieses habe auch ich wahrgenommen. Doch wieso kommst du auf eine Feier? Und was hat das damit zu tun?"
"Hast du noch vor Augen, als wir uns berieten? Seit dem Tag, an dem sie tot war, geht mir unsere Beratung unablässig durch den Kopf. Ich glaubte nicht, dass Ayla den Fluch überleben und zu den Lebenden zurückkehren würde. Aber jetzt ist sie da. Nun ist gewiß, dass sie einen mächtigen Schutzgeist hat, mächtiger noch, als wir glaubten. Seit dem Tag, an dem sie starb, hat mich Tag und Nacht die Frage gequält, was wir tun sollten, wenn sie wiederkäme."
Creb sah den Bruder verständnislos an.
"Was wir tun sollten? Wir brauchen nichts zu tun. Der böse Geist ist fort, Brun. Sie ist zurückgekommen. Sie lebt wieder. Und sie ist so, wie sie immer war. Sie ist ein Mädchen geblieben."
Brun blickte dem Mog- ur voll ins Gesicht.
"Was muß geschehen, wenn ich etwas ändern möchte im Clan? Gibt es dafür eine Feier?"
Der Mog- ur hob verwirrt den Arm.
"Eine Feier? Wofür? Du brauchst keine Feier, wenn du dich ihr gegenüber ändern willst. Was soll im Clan geändert werden?
Ich kann dir keine der heiligen Feiern deuten, wenn du mir nicht zeigst, was sie bewirken soll."
"Ihr Totem ist auch ein Clan-Totem. Wir müssen uns bemühen, die Totems freundlich zu stimmen. Ich wünsche, dass du eine Feier abhältst, Mog- ur, aber du mußt mir sagen, ob es eine solche Feier gibt." Der ältere Bruder wurde ungeduldig.
"Brun, ich weiß nicht, was du willst. Du solltest es mir noch klarerlegen."
Der Clan-Führer ließ hilflos die Hände fallen. Die vielen neuen Gedanken, die die Männer auf der Beratung vorgebracht hatten, waren ihm während Aylas Tod fortwährend durch den Kopf gegangen. Und er hatte alles gründlich bedacht. Was dabei herausgekommen war, bereitete ihm jedoch nagendes Unbehagen.
"Ich sehe selbst nicht klar, Mog- ur, wie kann ich dich da klarsehen lassen? Wer hätte erwartet, dass sie wiederkehren würde? Die Wege der Geister sind mir fremd. Ich kann nicht erfassen, was sie wünschen oder wozu sie da sind. Aber du bist mir nicht viel Hilfe. Ich muß noch einmal mit mir selbst
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